Eine Provinzposse mit entlarvender Wirkung nicht bloß für das verschmutzte Nest an der Rezat

 

Leseprobe:

 

    Als ich im August aus der Ukraine zurückkam und völlig zerschlagen von dem hier herrschenden Klima beim Italiener auf dem Johann-Sebastian-Bach-Platz in Ansbach saß und einen Kaffee trank, stand ein beleibter Mann vom Nebentisch auf, kam zu mir herüber und sagte: „Sie sind doch ein kreativer Mensch, das sehe ich gleich, was sagen Sie denn zu diesem prächtigen Arsch?“ - dabei wies er mit der Hand auf das Hinterteil der „Viola“ von Goertz und setzte sich zu mir. Ich antwortete ihm, der sich nachher als pensionierter Eisenbahner vorstellte, mit der Gegenfrage, ob er das Märchen kenne „Des Kaisers neue Kleider“. Er kannte es nicht, und ich erzählte es ihm in aller Kürze, wie hier noch einmal:

    Es waren einmal zwei listenreiche Betrüger, die sich als Schneider ausgaben, weil sie von der Eitelkeit des Kaisers gehört hatten, der ständig neue Kleider anschaffte, immer prächtigere und ausgefallenere, nie teuer genug, die ihm aber nur kurzfristige Erleichterung brachten. Seine tiefe Unsicherheit über seine eigene Rolle vermochten sie nicht zu vertreiben, weshalb er nie aufhören konnte, welche zu kaufen, ungeachtet das Volk schon mehr als ausgepresst war. Die beiden Maestri bekamen Audienz, und sie erzählten dem Kaiser von einem ganz besonderen Stoff, der so fein sei, daß ihn nur sehen könnte, wer keine Lüge in seinem Herzen verberge. Und aus diesem Stoff würden sie ihm ein Gewand schneidern können, das die Welt noch nie sah, wobei er gleichzeitig die Gelegenheit hätte, die Lügner und Betrüger in seinem Reich zu entlarven.

    Der Kaiser engagierte sie auf der Stelle, sie bauten ihre Webstühle und Spinnräder auf und waren emsig bei ihrer Arbeit, als der Kaiser eines Tages ihr Atelier betrat, um den Fortgang des Werkes zu sehen. Wie fuhr ihm der Schreck in die Glieder, als er von dem Stoffe nicht eine Faser wahrnahm, und er riß sich gewaltig zusammen, um sich nichts anmerken zu lassen. Ihren Erklärungen folgte er mit beifälligem Nicken und gab wohl hier und da einen Kommentar zu dem werdenden Kleid ab, der so allgemein gehalten war, daß er ihn nicht verriet. Seinen feinen Geschmacksinn lobten die zwei falschen Schneider über die Maßen, und das beruhigte ihn immer, denn insgeheim war er in beständiger Angst, als Lügner doch noch enttarnt zu werden. Nach und nach machten dieselbe Feuerprobe auch seine Chargen durch, von ganz oben bis nach ganz unten, vom Kanzler bis zum Stallknecht, und ihr einhelliges Entzücken verbreitete sich in der Residenz und im Land, so daß an dem Tag, da der Kaiser in seiner neuen Kluft ausreiten sollte in einem bis dahin noch nie da gewesenen Umzug, sämtliche Plätze am Wegrand überbesetzt sind. Da kommt er um die Ecke, es erschauert das Volk, ein jeder sieht ihn in seiner beschämenden Nacktheit, aber kein Einziger wagt es, den Mund aufzumachen. Wer will schon als Lügner dastehen? Bis es auf einmal aus einem Kindermund schallt: „Der Kaiser ist nackig!“ und ein gewaltiges Gelächter die Residenzstadt erschüttert. Und unsere zwei Schneider waren über alle Berge indes.

    Zu meinem Tischherren sagte ich noch: „Und wissen Sie, was diesem Kind heutzutage passierte?“ Er schaute mich fragend an, und ich hörte mich sagen: „Man würde es greifen und in der Hupfla (Heil- und Pflege-Anstalt) auf Medikamente zur Behandlung seiner Störung einstellen.“ Da wurde er nachdenklich und erzählte mir, wie sehr es ihn als passionierten Bergwanderer schmerzte, daß die Berge, die er so sehr liebte, zu Schanden gemacht werden würden vom Massentourismus. „Ja“, sagte ich, „das ist dasselbe“.      

 

 

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