Die Arbeit zeichnet sich aus durch einen in der Kaspar-Hauser-Literatur bisher völlig außer Acht gelassenen Ansatz, der endlich Licht bringt in das dunkle Verwirrspiel um den berühmt-berüchtigten Findling. Und das Frappierende ist, daß die Hypothese, der Kaspar sei das Opfer eines perfiden Menschenversuches gewesen  (und zwar nicht bloß in der Zeit seiner Isolationshaft, sondern auch in den fünfeinhalb Jahren seines öffentlichen Lebens in Nürnberg und Ansbach) erhärtet und bestätigt wird mit den eigenen Worten der Protagonisten, seiner so genannten Beschützer: von Feuerbach, Daumer, von Tucher, Meyer und Fuhrmann. Außerdem wird die Geschichte der Menschenversuche seit ihren Anfängen im 13. Jahrhundert bis in unsere Zeiten gewürdigt, was bisher meines Wissens auch noch niemals versucht worden ist. Hinzu kommt noch die Entlarvung der Prinzenlegende als Ablenkungs-Manöver von dem Verbrechen, das sich im Schicksal des K.H. beispielhaft für uns alle darstellt, und die Zurückweisung seiner Vereinnahmung durch die „Anthroposophen“ und andere Mystifizierer. Gekrönt wird das Ganze von einer religions-psychologischen Untersuchung der Frage, warum die Geschichte des „Abendlandes“ so unvorstellbar grausam verlief, die mit der dogmatisch verzerrten Botschaft des „Christentums“ beantwortet wird.

 

Leseprobe:

 

    Im Gegensatz zu dem schon erwähnten Pseudotraum, den der gehorsame und vor dem Richter innerlich zitternde K.H. nach dessen Diktat schrieb, hat Daumer einen wirklichen Traum von ihm hinterlassen, der aus seinem eigenen Inneren kam: „Am 2. April Nachts (1829, ein halbes Jahr vor dem ersten nicht tödlichen Anschlag) hatte ich einen Traum: Als hätte ich würklich einen Mann gesehen, er hat ein weißes Tuch um den Leib hängent, seine Hände und Füße waren bloß und wunderschön hatte er ausgesehen. Dann reichte er mir die Hand mit etwas das einem Granz gleicht, dann sagte er ich sollte ihn nehmen, dann wollte ich ihn nehmen, dann gab er mir zur antwort in vierzehn Tagen mußt Du sterben; weil ich nicht lange auf der Welt bin und nahm den Granz nicht, als er mir zuerst antwort gibt, es ist desto besser. Dann stundt er eine Zeitlang vor mir, als ich den Granz nicht nahm ging er rückwerts gegen den Tisch; so bald er ihn auf den Tisch gelegt hatte, stundt ich auf und als ich näher kam hatte er einen herrlichen Glanz bekommen. Dann nahm ich ihn und ging auf mein Bett zu, als ich näher den Bett zukam, bekam er immer einen stärkern Glanz, dann sagte ich, ich will Sterben, dann war er fort ich wollte in das Bett hinein-steigen, dan wurde ich wach“ (Mayer, S.250). Der wunderschöne Mann im Traum war der auferstandene und unverletzt wieder gewordene Christus, und er reicht dem K.H. den strahlenden Kranz der Sieger über den Tod, der Märtyrer, die ihr eigenes Leben nicht so liebenswert finden wie diese strahlende Schönheit. Und indem der K.H. sich den „Granz“ nimmt, entscheidet er sich für die wahre Nachfolge Jesu.

    Sind aber seine Mörder und Quäler damit entschuldigt? Das nur bei Lukas überlieferte und nicht in allen Handschriften vorhandene Kreuzeswort Jesu: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“ – steht nach dem Satz, der da lautet: „dort kreuzigten sie ihn und die Verbrecher, den einen aber zur Rechten, den anderen aber zur Linken“. Und aus der Sprache Jesu kann es auch heißen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wußten nicht was sie taten“ - und sich auf die beiden Frevler beziehen. Die aber wissen was sie tun und es ganz genau planen, für die gilt sein Satz: „Die Falle muß zwar in die Welt hinein kommen, wehe aber denen, die sie aufstellen“. Und dies ist keine Verfluchung, sondern ein Ausdruck des Mitleids mit ihnen, wie es auch der K.H. gezeigt hat, als er über seinen Wärter nachdachte (Mayer, S.173).

    Weder bei Jesus noch bei K.H., der ihm nachgefolgt ist, haben die Mörder ihr Ziel erreicht, denn als sie die Opfer erledigt wähnten, da ging es erst richtig los! Der „Hohe Rat“ der Juden wollte einen Menschen für die Rettung des Volkes hingeben, und der „Geheime Rat“ der Christen hatte beschlossen, im Namen der Wissenschaft und der Wohlfahrt den K.H. zu zerstören. Aber es ist anders gekommen, und von den Toten geht eine Kraft aus, die unzerstörbar ist und deswegen die Ängste derjenigen weckt, die ihre Macht nicht abgeben wollen. Noch postmortal müssen sie ihre Wirkung bekämpfen, und das beste Mittel dazu ist die Mystifizierung, weshalb sich die „Esoteriker“ auch auf den K.H. gestürzt haben wie eine Meute Vampire, die sein Herz heraussaugen wollen. Aber sie erreichen ihn nicht, sie verfehlen ihn und lullen nur sich selbst ein in ein immer dichteres Netz von Nebelstreifen...

 

 

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