Eine Darstellung der Mythen von Hellas anhand der drei Genannten von einem neuen Gesichtspunkt: der Schnittlinie zwischen Matriarchat und Patriarchat, die sich über viele Jahrhunderte hinzieht und uns aufregend Neues verrät über unsere eigene Zeit, in der das Patriarchat in seine Trümmer zerfällt – geschrieben auf den Inseln Naxos und Patmos.

 

Leseprobe:

 

    Wie anders klingt nun eine Geschicht aus Phrygia und doch geht es auch darin um die Befreiung der Mutter. Der Fels Agdos in der Nähe von Pessinus, einer der Großen Mutter heiligen Stadt, hatte deren Wesen in sich aufgenommen und Zeus oder Papas, der phrygische Himmelsgott, hatte auf ihm gelegen und in nächtlichem Liebesringen seinen Samen dem Felsen gegeben, und dieser gebar, als die Zeit erfüllt war, ein wildes doppeltgeschlechtliches Wesen namens Agdistis. Das achtete weder Götter noch Menschen, es raubte, mordete und zerstörte nach Lust und trieb mit allem und jedem seinen Mutwillen. Die Götter wußten nicht, wie sie dieses Unwesen bändigen sollten, und suchten das Weite, sowie sie nur ihr gewaltiges Brüllen aus der Ferne vernahmen, ja sie verloren vollkommen jegliche Würde, von den Menschen gar nicht zu reden. Sie berieten sich oft, was zu tun sei, doch keiner wagte den entscheidenden Schritt. Da handelte Dionysos ohne viel Worte. Er verwandelte das Wasser der Quelle, aus der Agdistis zu trinken pflegte, wenn sie von ihren Exzessen ermüdet und durstig zurückkam, in Wein, und sie schlürfte in langen Zügen, immer gieriger werdend, von dem ungewohnten, so köstlich schmeckenden Trunk und sank in einen betäubenden Schlaf. Dionysos aber band ein haarfeines Seil um ihre männlichen Teile, das er an einem Baum festgemacht hatte, und als Agdistis erwachte und in gewohntem Übermut aufsprang, entriß sie sich selber Hoden und Penis und das Blut strömte zur Erde. Die nahm es auf und der Mandelbaum entwuchs ihr daraus. Nana, die Tochter des Flußgottes Sangarios, desselben an dem Härakläs zum Ophiuchos geworden, ihr Name meint auch die Muttergöttin, erspähte zuerst die reife Frucht und barg sie in ihrem Schooß. Sie wurde schwanger davon und gebar einen Knaben, den ihr Vater aussetzen ließ, doch die Große Mutter sorgte für ihn, und als er heran-gewachsen war zu voller Schönheit, wurde er Attis geheißen nach dem Bock, der auf phrygisch Attagus lautet, aber auch nach dem lydischen Wort Attis, das einen schönen Ephäbos bezeichnet. Die nunmehr entmannte Agdistis, aus deren Blut er entsproß, liebte ihn innig und verbrachte ihre ganze Zeit nur mit ihm in der Wildnis, bis Midas, der König von Pessinus, ihn gewaltsam oder mit List entführt hat, um mit seiner Tochter zu vermählen den Schönen. Doch bei der Hochzeitsfeier erschien Agdistis und verzauberte alle Anwesenden mit den Tönen der Syrinx, und verzückt rief der Bräutigam aus: Agdistis dir! und entmannte sich selber, und aus seinem Blut entstanden die Veilchen.

    Was hat diese Geschichte mit der Befreiung der Mutter zu tun? Dazu müssen wir uns daran erinnern, daß die Große Mutter in alter Zeit doppelgeschlechtlich war, weil sie auch über das männliche Geschlecht verfügte, das ihr gegenüber noch keine Selbständigkeit hatte, es gehörte ihr gewisser-maßen, und so wurde sie auch dargestellt und verstanden. Und die Priester der Kybelä, wie sie mit anderem Namen auch hieß, entmannten sich selbst noch bis in die römische Zeit, um dies zu demonstrieren. Wie unsere Geschichte aber zeigt, bekam ihr dieser Doppelbesitz beider Geschlechter nicht gut, sie wurde tolldreist und verlor jeden Maßstab. Dionysos aber bezwang sie mit Wein, den er aus Wasser hervorgehen ließ, eine Verwandlung, die an die Hochzeit von Kana erinnert, wo Jehoschua zu seiner Mutter Mirjam gesagt hat: Gynai ti moi kai soi - Weib was mir und dir? Und im Gemeinsamen erschuf er den Unterschied und die Trennung zwischen Mutter und Sohn, um die Hochzeit erst möglich zu machen. Der weitere Verlauf der phrygischen Geschichte zeigt aber, daß diese erste Trennung noch nicht genügte, denn die Mutter verliebt sich in ihren eigenen Sohn, damit kann auch das Liebäugeln der Gattin mit der Verwandlung des Mannes zu ihrem Sohn gemeint sein und dessen Schwäche dafür. Erde und Nana sind sie ja selbst nur, und sie läßt seine Hochzeit nicht zu - oder, um es anders zu sagen, sie testet die Teilnehmer des Festes, ob sie der Gewalt der Musik standhalten können, die aber geraten in Trance, ohne sich in ihr zu erkennen. Attis aber verwechselt die Hochzeit mit der Wiedervereinung, mit der Vereinahmung durch die Mutter, in der er ihr sein Geschlecht darbringen soll. Er war offensichtlich nicht reif für die Ehe, und er scheint vom voreilig eingreifenden Vater in eine forcierte und darum falsche Männlichkeit hinein gedrängt worden zu sein. Und auch wenn man sich das Geschehen nicht ganz so blutig vorstellt, ist die Frage erlaubt: wieviele Ehemänner verlieren nicht ihr Geschlecht in der Ehe? Von Attis kann man wenigstens sagen, daß er, da die Mutter noch ganz auf sein Geschlecht fixiert war, ihr es als ihr Eigentum zurückerstattet hatte und sich so radikal von ihr trennte. Und aus seinem Blut entspringt Viola, das Veilchen, das die ganze Gewalt der Liebe umfaßt, unter dem Namen Iolä wird sie, wie wir hörten, nach mancher Verwicklung die Schwiegertochter des Härakläs, der selbst der Eidam des Dionysos ist, indem er sie sterbend mit Hyllos verbindet, dem Sohn seiner ihn tötenden Gattin. So liegt darin eine Geschlechtsumwandlung und ein Sprung in die nächste Generation, um einen neuen Anlauf zu wagen zur Lösung eines Problems, das auf der menschlichen Ebene unlösbar ist, nur dem Gott, der das Menschliche in sich aufnimmt, ist es auflöslich. Denn, wie es ausdrücklich betont wird, geschah die Selbstentmannung des Attis unter einer Pinie, und die Zapfen der Pinie sind es, die die Mainades an der Spitze  des Thyrsos-Stabs tragen, dem von Efeu und wildem Wein umschlungenen Stab der Narthäxstaude, dem heiligen Stab, den sie zu Ehren des Dionysos schwingen.

    Vom Wort Thyrsos kommt das Wort Torso, das ein Bruchstück bezeichnet einer einst unangetastet gebliebenen Ganzheit, die der Zerfall traf durch die Zeiten, und gleichzeitig ist es auch ein unvollendet gebliebenes Werk, ein Fragment, meist eines menschlichen Körpers, dem die Zeit nicht die Vollendung erlaubte. Zwischen dem Nicht-Mehr und Noch-Nicht schimmert diese aber hindurch in einer Weise, die alles hier Fertiggestellte in den Schatten ihrer Herrlichkeit stellt, das ist die Domäne des Gottes. Und Narthäx ist nicht nur das Gewächs mit den knotigen, starken Stengeln, von welchem der Stab des Dionysos kam, sondern auch eine Büchse, eine Dose zur Aufbewahrung von Arzeneien und Salben, und erinnert somit an das Gefäß mit dem kostbaren Inhalt, das Mirjam von Magdalah zerbrach, um mit ihm ihren Geliebten, seinen lebendigen Leib, für die Verwandlung des Todes zu salben, und ihn so zum Christos, zum Gesalbten, erst machte, eine Tat, die seinen Anhängern als Verschwendung und Tollheit erschien...

 

 

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