Hier handelt sich um Aufzeichnungen meiner Träume vom Ende der Achtziger Jahre, meinen Beitrag zum Golfkrieg von 1991 und einem Gedankenaustausch mit einem gewesenen Freund

 

Leseprobe:

 

    In der Praxis. Viele bunte Leute, die ein Fest feiern wollen, zu dem auch ich geladen bin. Ich muß nur noch mit ein paar Patienten fertig werden, dann hätte ich auch Zeit für diese vielversprechende Feier. Die Leute sehen anfangs ganz sympathisch aus, meist jung und alternativ. Dann aber entfaltet sich eine eigene Dynamik, und das Fest beginnt, ohne daß ich meine Arbeit beenden kann, alle Räume werden überflutet, es ist ein Wogen und Treiben von Menschenleibern, das Wartezimmer allein noch ausgenommen. Plötzlich sind auch die Patientenkarten verschwunden, es wären noch vier bis fünf Patienten gewesen, darunter drei neue. Die Bewegung der Bunten wird immer entfesselter, sie reagieren auf meine Vorhaltungen nicht mehr, sie kümmern sich überhaupt nicht mehr um mich und meine Patienten. In steigender Wut frage ich eine Helferin, Fräulein E., nach den Karteikarten, immer noch zorniger werdend wegen ihrer Hilflosigkeit. Einen der Chaoten, den ich für einen Anführer halte, nehme ich mir dann persönlich vor, er verspottet mich nur, indem er höhnisch lächelnd auf das chaotische Treiben und meine Ohnmacht verweist.

    Eingeblendet wird jetzt eine Szene aus Indien: Holzhäuser auf Palisaden, vom Regen aufgewühlter Morast, halbnackte Menschen im Monsun hin und her eilend, in Armut und Wollust dem Regen und dem Schlamm preisgegeben. Dann erscheint plötzlich auf einer Art Leinwand eine weitere Szene mit dem Titel: Der Tod des Großen Guru XX. Zum Gedächtnis an sein erhabenes Sterben. Viele tanzende und lachende Menschen sieht man in Ekstase vor der Begegnung mit ihrem großen Meister Baghwan kollektiv wogen, von einer Bewegung erfaßt, und dann kommt vorne unten der völlig abgemagerte und ausgezehrte, gänzlich kachektische Guru ins Bild, wie er in Embryohaltung am Boden verkrümmt sich anschickt zu sterben, und dies alles wird von einer Filmkamera zur Schaulust und zum Ergötzen späterer Jünger auf Zelluloid festgehalten, damit alle sehen, wie er dort erbärmlich und einsam inmitten der Menge seiner Anhänger auf der Erde verreckt. Da rauscht donnernder tosender Beifall über die ganze Szene dahin, als habe der Meister im Sterben gerade einen besonders gelungenen Gag dargeboten, und wirklich: dieses jämmerlich verhungernde Menschlein in dem indischen Fetzen lächelt verzückt ob des Beifalls wie eine alternde Diwa, der ein paar übrig gebliebene Fans aus Mitleid das Gefühl der Erwähltheit verschaffen, so strahlt nun auch dieser Guru, in dem ich nun unweigerlich mich selbst erkennen muß, mit seinen dritten Zähnen über das ganze Gesicht. Ende des Filmes.

    Wieder in der Praxis erkenne ich die völlige Unmöglichkeit und Aussichtslosigkeit, irgendetwas gegen diese Chaoten zu unternehmen, mir bleibt nichts mehr übrig, als das Feld zu räumen, zum Mitfeiern ist mir jede Lust längst vergangen. Ich hebe mich davon, draußen auf der Straße meine Situation überdenkend, und mir wird klar, daß ich nun realistischerweise in dieser Stadt unmöglich geworden bin, daß ich nun hier nichts mehr verloren habe, daß ich nur meine Schulden mitnehmen konnte und versuchen mußte, sie aus einer anderen Stadt, wo man mich nicht kennt, neu anfangend abzubezahlen. In diesen Überlegungen war ich am Bahnhof angekommen, dort der übliche Anfang des Tages und Auf- und Abbruch von Mensch und Verhältnis. Als ich schließlich so weit war, einzusehen, daß ich hier nichts mehr zu verlieren hatte, weil alles bereits verloren war, wollte ich vor meiner Abreise doch noch mal sehen, was sie aus meiner Praxis gemacht hatten, und, ich gebe es zu, auch Neugierde war dabei, mitzuerleben, wie weit sie ihr Chaos treiben würden und was das Ende von diesem Lied sei. Ich kehrte also zurück.

     Dort war noch alles im Gange, aber als ich kam eher etwas ruhiger als erwartet. Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich einen Raum, den ich zuvor niemals gesehen hatte und der mich anzog, weil er fast menschenleer war. Es war eine Art Maschinenraum wie im Bauch eines Dampfschiffs. Ich ging hinein, gefolgt von einem Anführer der Chaoten - war es derselbe, mit dem ich vorher die Auseinandersetzung hatte? - dessen Art, mich zu verfolgen, mir schon etwas verdächtig erschien. Größer als mein Mißtrauen war aber die Neugier auf einen weiteren unbekannten noch hinter dem ersten gelegenen Raum, den ich im selben Augenblick wahrnahm und seltsam erregt betrat. Er war gänzlich leer wie eine Ausnüchterungszelle oder die eines selbstmord-gefährdeten Häftlings, der unter Beobachtung steht. Zu spät merkte ich, daß ich in der Falle war, denn der Typ hatte den einzigen Ausgang, durch den ich herein gekommen war, zufallen lassen und grinste mich höhnisch an, im Bewußtsein, daß er mich nun in seiner Macht hatte. Übel grinsend wies er mich auf ein Loch im Boden der Zelle, das aussah wie eine große Kloake, und erklärte mir hämisch, daß ich nun ja meiner Liebsten folgen könnte durch dieses Loch in den Abgrund. Und wirklich - ein junges Mädchen, das ich vorher garnicht gesehen hatte, ließ sich voll Todesmut in dieses Loch gleiten und verschwand. Mir blieb kein anderer Weg als der in den Untergang, und ich stürzte ihr nach, ein Fall in den Abgrund, da war kein Halten, nur Dunkel. Und doch gab es ein Aufkommen auf federndem Grund. Auf einer Leinwand sah ich dort Mitglieder der High Society parlieren in glitzernder und erstohlener Pracht, das war eindrucksvoll, aber schwarz-weiß. Hinter dieser Leinwand jedoch gab es wirkliche leibhaftige Menschen, und ich war plötzlich unter lauter Marktfrauen und Bürgern auf dem Marktplatz einer mittelalterlichen Stadt, wo es heiß herging im Gespräch über das Schicksal eines Fürsten, der ein Mädchen aus niedrigem Stand genommen hatte. Daß er sie wieder verstoßen würde, daß sonstwas passieren würde, daß es nie gut gehen könnte, waren die vorherrschenden Meinungen über den Ausgang dieser Geschichte, bis eine fromme runde Marktfrau ihren Standpunkt entschieden vorbrachte: "Er wird sie wirklich lieben, denn er stammt aus dem Mühlenviertel."

 

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