Autobiografische Skizze

 

geschrieben im April 2004 als Beilage zu meinem Antrag auf Berufsunfähigkeit

und im September 2917 überarbeitet

 

Familienanamnese

 

 

Mütterliche Linie:

Meine Mutter Lotte ist das einzige Kind ihrer Eltern gewesen, sie wurde im Mai 1920 in Weissenburg/Bayern geboren und verstarb im Juli 1993 in Nürnberg. Ihr Vater Karl Baumer war eines von mehreren Kindern des Schlossgärtners von Burg Langenstein im Hegau gewesen, er wurde „Kraftfahrer“, was seiner Zeit hieß, dass er Autos auch zu reparieren hatte. Er kam nach Fürth, wo er in den Dienst eines Industriellen eintrat und seine 11 Jahre jüngere Frau Hedwig, geborene Trommer, kennenlernte und ehelichte. Bei ihr muss ich etwas weiter ausholen, denn sie hat in meinem Leben eine wichtige Rolle gespielt. Ihre Mutter Esther war die Tochter eines Färbermeisters aus Heilsbronn und wurde zur Mutter von drei Töchtern, die von drei verschiedenen Männern gezeugt worden sind. Nachdem sie vom Erzeuger ihrer ersten Tochter verlassen worden war, ging sie mit ihrem unehelichen Kind von Mittelfranken nach Schmölln in Thüringen. Dort lernte sie einen gewissen Alwin Trommer kennen, der sie ehelichte und zum Vater meiner Großmutter Hedwig wurde. Er hatte es als Halbzigeuner zum „Zeichner“ und Berufsschullehrer gebracht, und er vergaffte sich so sehr in seine halbwüchsigen Schülerinnen, dass empörte Eltern die Sittenpolizei auf ihn hetzten. Er rettete sich durch Untertauchen, und von ihm wurde nie wieder etwas gehört.

Meine Urgroßmutter Esther, die jüdisches Blut in sich hatte, saß nun mit zwei Töchtern und ohne Mann in Schmölln, wo sie nicht bleiben konnte, so dass sie wieder in ihre Heimatstadt Heilsbronn zurückkehrte. Dort ließ sie sich ein drittes Mal schwängern, und zwar von einem Bäcker, der ihr die Ehe versprochen hatte, es aber dann vorzog, sie sitzen zu lassen. Sie verstarb mit 44, meine Oma war da gerade 12 Jahre alt und ohne Schutz von Mutter und Vater. Man gab sie in einen jüdischen Zahnarzt-Haushalt nach Fürth, wo sie als „Empfangsfräulein“ fungierte und acht Jahre lang sexuell missbraucht worden ist. Über ihre Geschichte wurde nur in Andeutungen gesprochen, was mich als Kind sehr verwirrte, und die besten Informationen erhielt ich erst viel später von meiner todkranken Mutter. Die Hedwig war bis zu ihrem Lebensende vollkommen frigide und ihre Ehe entsprechend. Psychotherapie war damals nicht greifbar, und so lebten die beiden Gatten ihr Unglück auf Kosten ihres einzigen Kindes aus, meiner Mutter. Ihre Mutter Hedwig machte sie zu einer Kopie von sich selbst – die Fotografien, wo sie aussehen wie zwei Schwestern, waren immer ihr Stolz! Und meinem Großvater Karl, der sich inzwischen als erster Betreiber einer Tankstelle und Kfz-Reparatur-Werkstatt in Weissenburg selbständig gemacht hatte, wurde die einzige Tochter zur heimlich Geliebten, dem sie nie eine Bitte abschlagen konnte und der sie als „Mädchen von der Tankstelle“ einsetzte, um seinen Umsatz zu steigern.

Sie war in ihrer Jugend tatsächlich eine Schönheit, und als der „NS-Gauleiter“ von Franken eines Tages eine Verkörperung des Frühlings unter den aufblühenden Mädchen von Weissenburg suchte, war er enttäuscht von den vorgeführten Vertreterinnen des „Bundes Deutscher Mädels“ und fragte, ob es denn keine Schönere gäbe. Die Antwort war klar die „Baumer-Lotte“, doch war sie nicht im BDM, ihr Vater ließ es nicht zu. Sie wurde vorgeführt, und der Bonze reagierte begeistert, auf Fotos sieht man sie auf einem riesigen Auto, in dem ihr Vater am Steuer sitzt, mit einem weissen Brautkleid bekleidet, dessen vordere Rüschen ihm fast in die Stirn fallen. Mein Bruder sagte später einmal zu ihr, von diesem Traumsitz sei sie niemals heruntergekommen. Ihre Verehrer kamen von weit her, und unter ihnen ragte ein Graf von Bernadotte besonders hervor, aber meine Mutter schenkte einem Kampfpiloten ihr Herz und verlobte sich mit ihm. Das war 1940, und er wurde zum Angriff auf Frankreich befohlen. Sie trafen sich noch eine heimliche Nacht über in Würzburg, und sie, die noch Jungfrau war, wollte unbedingt von ihm geliebt sein. Er aber verweigerte sich ihr mit dem Hinweis auf seine Ehre: er könnte sie schwängern und dann im Krieg fallen. Tatsächlich stürzte er tödlich ab bei seinem ersten Einsatz -- und noch lange nach dem Krieg stand meine Mutter mit der Mutter ihres verstorbenen Verlobten, mit dem „Herberts-Mütterle“ in Bremen in Briefkontakt, bis zu deren Tod.

1943 traf meine Mutter bei ihrem ersten Urlaub alleine, den ihr ihre Eltern erlaubten, in Innsbruck einen 11 Jahre älteren Mann, meinen Vater, und sie heirateten ziemlich überstürzt und ohne sich wirklich zu kennen – sie „aus Sicherheitsgründen“ und er aus Angst, sie zu verlieren. Sie zogen zuerst in die Stadt meines Vaters, nach Dresden, wo ihnen im Juni 1944 ihr erstes Kind, mein Bruder Bernd, geboren wurde. Dann aber schickte der Mann seine Frau mit dem Kind in einer üblen Vorahnung zu ihren Eltern nach Weissenburg, er selbst blieb in Dresden und kam nach dem verheerenden Bombenangriff mit nicht viel mehr als seinem nackten Leben zu seinen Schwiegereltern, zu seiner Frau und zu seinem Kind. Nun versuchte die Hedwig ihre Tochter, die Lotte, aufzuhetzen gegen ihren abgebrannten Mann, der nichts mehr zu bieten habe, und es kam zur Entzweiung von Mutter und Tochter, die einige Jahre anhielt; die Lotte entschied sich für den Walter, und ihr Vater Karl, der sich schon in sein Schweigen zurückgezogen hatte, durfte seinen Enkel nur heimlich sehen.

In der Kleinstadt konnte dieser Zustand nicht für ewig anhalten, und Zähne knirschend fügte sich mein tief gekränkter Vater in eine Pseudo-Versöhnung mit seiner Schwiegermutter. Bis zu deren Tod 1969 waren die Begegnungen immer angespannt und arteten nicht selten in offene Ausbrüche aus mit Schreiereien. Der Karl war 1953 am Herzen gestorben, und nach seinem Tode mussten meine Eltern die Gerichte einschalten, damit meine manisch gewordene Oma nicht das gesamte Erbe in Kurorten mit „Geheimräten“ durchbrachte und ein Rest für sie gespart werden konnte. Als sie kein Geld mehr für Kuren hatte, zog sie ruhelos von einem untervermieteten Zimmer in das andere um und zerstritt sich mit allen. Schließlich hatte sie außer zu ihrer Tochter und deren Mann sowie zu ihren mit mir zwei Enkelsöhnen keinen Kontakt mehr zu Menschen – mit der einzigen Ausnahme von Ärzten. Sie übte das „Doctor-Hopping“, obwohl es den Begriff noch nicht gab, und hatte Tausend von Klagen, nur zu einem Frauenarzt ging sie nie, nicht ein einziges Mal. Als man sie endlich aufschnitt, hatte ein Gebärmutter-Krebs schon alles im Bauch überwuchert, und sie lebte nur noch wenige Tage, das war im Jahr 1969.

 

Väterliche Linie:

Mein Vater Walter ist das mittlere von drei überlebenden Kindern, 1906 wurde sein Bruder Heinz geboren und er selbst 1909. In der Zeit dazwischen sind zwei Kinder gestorben, was ich aber erst sehr viel später erfuhr, und 1910 kam die Schwester Anneliese wie alle fünf Kinder in Dresden zur Welt. Die Eltern stammten beide nicht aus der Großstadt, sondern vom Elbsandsteingebirge (aus der „Sächsischen Schweiz“), wo ihre Ahnen generationenlang Bauern waren und in der einen Linie – ich weiß nicht in welcher – zusätzlich auch Wirtsleute, also Betreiber von Land- und Gastwirtschaft. Heinrich Nitzschke, der Vater meines Vaters, baute sich eine selbständige Existenz in Dresden auf zusammen mit einem Compagnon, nämlich den Handel mit Damenhüten und Accessoires mitten im Zentrum der Stadt. Die Gründung war 1913, ein Jahr später wurde der Heinrich in den Krieg eingezogen und musste seine Frau mit den drei Kindern vier Jahre allein zurücklassen. Sein Compagnon hatte mehr Glück, er wurde ausgemustert und dachte, gegen die Elisabeth, geborene Hartmann, meine Oma von der Vaterseite, leichtes Spiel zu haben und sich den Laden unter die Nägel zu reißen. Doch sie war wie ihr Mädchenname besagt und kämpfte wie eine Löwin, sodass er aufgeben musste und sie hernach das Geschäft mit dem zurückgekehrten Heinrich fortführte.

Die Elisabeth war eine von vier Schwestern, von denen eine mit ihrem Mann vor dem ersten Weltkrieg in die USA auswanderte, dort jedoch zur Witwe wurde. Nachdem auch noch ihr einziges Kind von anderen ins Feuer gestoßen worden war und verbrannte, kehrte sie wieder nach Dresden zurück, wo sich die dagebliebenen Schwestern inzwischen zerstritten hatten. Ein Großvater von Heinrich hat sich erhängt, mehr ist mir leider von den Vorfahren meines Vaters nicht bekannt. Heinz, der Bruder meines Vaters, erwies sich als überdurchschnittlich intelligent, er konnte das Abitur machen, danach das Studium der Germanistik und Geschichte abschließen und auf Weltreisen gehen. Mit seiner jungen Familie lebte er im Dienst des „Goethe-Institutes“ längere Zeiten in Indien und Griechenland. Nach dem Krieg war er als Nazi verdächtigt und erhielt trotz seiner inzwischen fünf Kinder keine Anstellung mehr, bis er es nach einem Gnadenerlass dann zum „Gymnasial-Professor“ brachte und auch historische Bücher herausgab. Mein Vater war von daher zum Übernehmer des väterlichen Geschäftes verpflichtet worden, für ihn genügte die mittlere Reife und die Lehre zum Kaufmann, und er erzählte mir einmal, wie er mit einem gleichaltrigen Freund im Alter von Sechzehn von Dresden nach Wien ausriss, um dieser seiner Bestimmung zu entfliehen. Er erlitt aber schmählichen Schiffbruch, sein Vater musste ihn holen, und er wurde in Gnaden wieder aufgenommen gegen das stumme Versprechen, nie mehr aufzumucken.

Mein Vater war mit einem Klumpfuß geboren, und er trug stets orthopädische Schuhe, deren Verschiedenheit mich als Kind sehr verwirrte, zumal ich seine nackten Füße nie sah. Er verbarg sie entweder sorgfältig vor mir oder ich traute mich aus seiner Beschämung heraus nicht hinzusehen -- als ich bewusster wurde, ergab sich jedenfalls keine Gelegenheit mehr. Wegen seines Makels kam mein Vater nicht an die Front, er organisierte den Nachschub für die Kämpfer aus der Etappe, und somit auch nicht in Lebensgefahr – bis auf den Angriff auf Dresden. In der mit Flüchtlingen völlig überfüllten Stadt irrte er vom Bahnhof nach Hause, als Alles brannte und mit Leichen übersät war. Sein Elternhaus war verschont worden, aber an der Stelle des Nachbarhauses klaffte ein riesiges Loch. Er ging in den Westen wie sein Bruder, die Schwester Anneliese jedoch blieb in Dresden und heiratete einen Mann, der den Laden ihres Vaters in der „DDR“ als Mitglied einer „Handels-Organisation“ fortgeführt hat – und zwar in dem Elternhaus seiner Frau, wo er lange mit seinen Schwiegereltern und Kindern gelebt hat. Die erstgeborene Tochter verstarb mit 13 an Leukämie, die zweite Tochter m mittleren Alter an einem Hirntumor, nur der Sohn überlebte. Als der Heinrich, den ich nur kannte als einen Verstummten, in seinen 70ern starb, wurde die „Symbiose" zwischen der Mutter Elisabeth und ihrer Tochter Anneliese noch stärker. Ich erinnere mich an ihren Besuch in Nürnberg, wo meine Oma völlig durchdrehte, als meine Tante einmal kurz an die Luft gegangen war und sie sie nicht gleich fand. Diese Großmutter wurde über die 80 und starb erst ein paar Jahre nach ihrem Sohn Walter.

 

2. Ehe-Anamnese der Eltern

 

Meinem aus Dresden geflohenen Vater gelang es, mit ein paar geretteten Hutkoffern und meiner Mutter, eine Großhandlung für „Putz- und Modewaren“ in Weissenburg aufzubauen, aber das Geschäft mit Artikeln wie Damenhüten, Schals, Tüchern, Broschen und Nadeln, erlebte nach einer kurzen Nachblüte das Welken. In den 50er Jahren war es für eine anständige Frau noch unmöglich, ohne Hut auszugehen, und so war die mit mir seit März 1948 vierköpfige Familie zunächst noch wohlhabend. Mein Vater konnte sich ein Kinder- und Dienstmädchen leisten für seine Söhne und den Haushalt, was er auch tat, weil er seine Gattin stets um sich herum haben wollte – erstens war sie eine hervorragende Geschäftsfrau, und zweitens konnte er sie nicht entbehren. Diese Marotte von ihm ging soweit, dass er es vorzog, mit ihr alleine in Urlaub zu fahren, ohne die ihn störenden Söhne, er war nicht gewillt, sie mit ihnen zu teilen! Und so wurden mein Bruder und ich mehrere Jahre hindurch in Ferienlager gesteckt, woran ich mich noch ungut erinnere, obwohl ich erst drei bis vier Jahre alt war, als das anfing. Irgendwann dazwischen gab es auch Urlaube zu viert in den Bayerischen und Österreichischen Alpen, meistens im Winter und in sehr feinen Hotels mit sehr üppigem Essen, doch ich war meinen Eltern schon damals entfremdet. Unheilbar wurde der Riss, als es keine Dienstmädchen mehr gab und meine Eltern ihre zwei Kinder weggaben, meinen Bruder in das „Alumneum“ von Windsheim und mich ins „Kinder- und Waisenheim Martha-Maria“ in Erlenstegen, das von „methodistischen Diakonissen“ betrieben wurde. Zwei Sommerschulferien war ich schon zuvor und von meinem Bruder getrennt in diese Anstalt eingeliefert worden, und ich bat meinen Vater inständig, er möge mich nie mehr dorthin abgeben. Seine Antwort war die, dass ich ganz hinein musste, zwei volle Jahre, von Acht bis Zehn.

Meine Eltern bezahlten Geld dafür, doch dann hatten sie kein übriges mehr, sodass mein Bruder und ich wieder nach Haus zurückkehrten als „Schlüsselkinder“, denn die Mutter blieb nach wie vor Vollzeit im Geschäft. Und dieses verlief immer schlechter, das Hütetragen kam aus der Mode. Bis zu seiner Schließung 1975 war das fast einzige Gesprächsthema meiner Eltern dieses verfluchte Geschäft, und sie sind schließlich beide zerbrochen. Der Vater war seit ich ihn kenne ein kranker Mann, er litt zuerst Jahrzehnte lang an einem chronisch rezidivierenden Ulcus-Duodeni-Leiden, das keiner der diversen Ärzte zu kurieren vermochte. Einer kam angesichts der Ergebnislosigkeit aller bisherigen Versuche auf die geniale Idee, meinem Vater für eine Woche nicht nur das Essen, sondern auch jegliches Getränk zu verbieten, dann, so versprach er, habe sein Leiden ein Ende. Er hatte mit der Rebellion meines Vaters gerechnet, weil nach menschlichem Ermessen niemand das Dürsten länger als drei Tage aushält. Aber ich sehe meinen Vater noch vor mir, wie er zum Skelett abmagerte und sich mit einem angefeuchteten Lappen den vertrocknenden Mund wieder und wieder auswischte, ohne einen Tropfen zu schlucken. Ich fand das absurd und abstoßend, doch offenbart es den passiven Charakter meines Vaters sehr deutlich.

Wie ich erst viel später verstand, war durch die Passivität dieses Vaters die Stelle des dominanten männlichen Tieres unterbesetzt, ja gänzlich leer, sodass sie mein Bruder schließlich einzunehmen vermochte. Es kam zu heftigen Rivalitätskämpfen zwischen ihm und dem Vater, deren Szenarium ich an dem jahrelang gepflegten Ritus der Sonntagmittage illustriere: in der Küche kochte die Mutter mitunter sehr leckere Sachen, während ihre drei Männer im Wohnzimmer saßen und im Fernsehen den „Internationalen Frühschoppen“ von und mit Werner Höfer ansahen, „Sechs Journalisten aus fünf Ländern“ diskutierten da jede Woche. Während ich in der Familie mehr und mehr verstummte, was aber niemand bemerkte, lieferten sich Vater Walter und Sohn Bernd heftige Rede-Duelle, die immer darauf hinausliefen, dass der Sohn dem Vater offen oder versteckt seinen Eintritt in die NSDAP 1932 vorwarf. Der verteidigte sich mit der inbrünstig vorgetragenen Rede: Wenn die Deutschen an Allem Schuld wären, dann müsste ja jetzt, nachdem ihr Land ausgelöscht wurde, der Frieden herrschen auf Erden.

Ihr Gebrüll zog sich fort bis in die Küche und machte auch nicht Halt vor dem Essen, sodass die Mutter mit Recht gekränkt reagierte. Sie litt seit ich sie kenne an einer schlimmen Migräne, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte und die sie oft tagelang ausser Gefecht setzte, sie sah dann jedesmal aus wie eine Leiche. Es schien fast eine Art Wettbewerb zwischen meinen Eltern gegeben zu haben, wer nun der Kränkere sei, und den hat zunächst mein Vater gewonnen. Er entwickelte eine schlimme Osteoporose in seinen 50er Jahren, für die sich keine Ursache fand und die therapieresistent war, allen Kuren und Mitteln zum Trotze, es kam auch zu einem Wirbeleinbruch. Gleichzeitig wurde er impotent, und meine Mutter, die sehr lange Zeit beim Sex mit ihm nichts empfand, wollte gerade anfangen, ihn genießen zu lernen, da quittierte er ihr diesen Dienst. Eifersuchts-Szenen hatte es schon vorher und wohl von Anfang gegeben, jedenfalls bis zum bitteren Tod meines Vaters: auf dem Krankenhausgang sagte jemand zu ihm, der sich stützte auf den Arm seiner Frau: „Sie haben aber eine reizende Tochter“ -- In derselben Nacht ist er gestorben, das war im Januar 1975 in einer Belegarzt-Klinik in Nürnberg. Hineingegangen war er auf Rat seines Urologen, den er wegen Blut im Urin aufgesucht hatte. Als Ursache fand sich ein Papillom im Nierenbecken, und der Metzger schnitt doch tatsächlich die ganze Niere heraus – im Verlauf der darauf folgenden Woche rezidivierte das alte Ulcus, und mein Vater verstarb zehn Tage nach der Operation an innerer Blutung.

Im Dezember davor war er zum Großvater geworden, Eva-Maria, die Tochter meines Bruders war da geboren, und im Juli darauf kam meine Tochter Nora zur Welt, keine von beiden hat er gesehen.

Meine Mutter wurde mit 54 zur Witwe und trieb es mit einigen auch verheirateten Verehrern, jetzt da sie endlich frei war (sie hatte sich eisern an das Treue-Gelübde gehalten, das sie bei einer Traumhochzeit mit Kutsche und Schimmeln abgelegt hatte). Und ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie mich nicht mit Details beglückt hätte, die mir peinlich waren zu hören. Über Jahre hinweg war es nach dem Tode des Vaters zu einem vollständigen Bruch zwischen meinem Bruder und meiner Mutter gekommen, und ich konnte mich einer lästigen Loyalitätspflicht nicht erwehren ihr gegenüber, die mich plötzlich zum Hauptgesprächspartner für Familiäres und Intimes gemacht hatte, obwohl ich selbst schon verheiratet war. Mein Bruder behielt Recht mit seiner hasserfüllten und mich erschreckenden Voaussage „genauso wie ihre Mutter wird sie verrecken“ – nur mit dem Unterrschied, dass der Krebs bei ihr vom Darm und nicht von der Gebärmutter ausging. Aber beim Aufschneiden des Bauches ergab sich ein genauso infaustes Bild: die inoperablen und daher hoffnungslosen Wucherungen in der Leber waren sichtbar. Ein Jahr lang siechte sie hin, und damals konnte ich viel mit ihr sprechen, ohne dass ich denselben Ekel wie früher vor ihr empfand, was mich, wie schon gesagt, mit wichtigen Informationen versorgte. Ihr Tod trat ein im Juli 1993.

 

Eigenanamnese

 

Ich kam auf dem gewöhnlichen Wege zur Welt, blieb jedoch ungestillt. Als meine Mutter vier Jahre zuvor versucht hatte, ihr erstgeborenes Kind, meinen Bruder, zu stillen, da habe der sie in die Brustwarzen gebissen derart, dass sie eine Mastitis bekam und als Therapie mit Röntgenstrahlen bestrahlt worden ist. Eine Tendenz zur gegenseitigen Dämonisierung hat es also schon damals gegeben, und bei mir fing sie mit dem Stillen garnicht erst an. Nach meiner Scheidung 1991 erlitt ich einen seelischen Zusammenbruch, der mich über ein Jahr arbeitsunfähig machte und sehr lange nachwirkte. In dieser Zeit tauchte ich ein in meine Frühzeit, und um zu testen, ob meine Erfahrungen wirklich und keine Einbildungen waren, bat ich meine todkranke Mutter, mir zu erzählen von der Zeit nach meiner Geburt. Ich hatte nämlich ein weibliches Wesen gespürt, von dem ich eine sehr schöne Strahlung empfing, ein Gesicht sah ich nicht, da nur mein „emotionales Gedächtnis“ schon da war, nicht aber die Optik. Und tatsächlich erzählte meine Mutter von einem Mädchen vom Lande, das ein paar Wochen im Haus war und sich um mich kümmerte. Niemals zuvor war von ihr die Rede gewesen, aber ich wusste nun, dass ich nicht fantasierte.

Von einem anderen Wesen sprach ich nicht zu meiner Mutter, um sie, die todkrank war, zu schonen, nämlich von dem „Kindermädchen“ Irma, die sich um mich und um meinen Bruder zu kümmern hatte unmittelbar nach dem Weggang des namenlosen Mädchens vom Lande. Sieben Jahre blieb die Irma in unserem Haushalt, und obwohl immer erzählt worden ist, sie habe mich sehr geliebt und vor meinem gewalttätigen Bruder in Schutz genommen, hatte ich sie bis zu meiner Krisis Anfang der 90er Jahre völlig aus meinem Gedächtnis verdrängt. Weder dachte ich bis dahin jemals an sie noch fühlte ich etwas von ihr, was mich schließlich stutzig gemacht hat. Und obwohl ich mich lange dagegen wehrte, brach es dann durch und war nicht mehr abzuweisen: sie, die als Vollwasin aus dem Osten geflohen, wo sie vermutlich von russischen Soldaten vergewaltigt wurde, hatte mich schon als Säugling sexuell missbraucht. Dafür sprechen sonst unerklärliche Fakten: Als mich meine Mutter irgendwann in meiner Kindheit einmal dazu anleiten wollte, meinen Penis zu waschen auch unter der Vorhaut, da war mir die Berührung desselben derartig schmerzhaft und peinlich, dass ich ihn nie mehr anfasste, selbst in der Pubertät onanierte ich nicht! Die ersten Erektionen waren eine mir furchtbar unleidliche und schuldbeladene Sache, ich konnte sie nur als „Sünde“ empfinden. Meine Vorhaut bedeckt die Eichel überhaupt nicht und ist noch weiter zurückgezogen als bei einem Beschnittenen, was nur durch übertriebene „Fimose-Profylaxe“ zu erklären ist. Wenn ich die Vorhaut über die Eichel herabziehe, was ich erst neulich erprobte, zieht sie sich sofort danach wieder in ihre frühere Stellung zurück, und die Eichel ist wieder völlig entblößt.   

Die Irma war blond und hatte ein so genanntes „Linsen-Schlottern“, das heißt ihre Pupillen mit der bläulichen Iris wackelten und fackelten ständig, was ein sehr irritierendes Fänomen für mich war. Als ich sieben Jahre alt war, da fand sie, die sehr lang ohne Mann war, endlich einen und zog mit ihm ab nach Österreich. Zuletzt hatte es noch einen Streit zwischen ihr und meiner Mutter gegeben, dessen Grund ich nie verstand, doch blieb sie mit einer Nachbarin in Neusündersbühl, einem Stadtteil von Nürnberg, wohin wir 1953 gezogen waren, in Briefkontakt bis zu ihrem Tod. Ich selbst habe seit der Zeit meiner vollen Gedächtniskraft keine einzige bewusste Erinnerung an eine leibliche Berührung mit ihr, und nach dem Ausreifen meines Gehirnes habe ich sie niemals von mir aus aufgesucht, so weit ich zurückdenken kann, es gibt auch kein einziges Foto aus jenen Zeiten, das sie in Berührung mit mir zeigt. Nach ihr kamen noch zwei „Dienstmädchen“ in unsere Wohnung, die Emma und die Isolde, doch verblieb eine jede von ihnen nur ein halbes bis ein dreiviertel Jahr, und danach war keine mehr da. Nach dem Tod meiner Mutter räumte ich ihre Wohnung leer und fand dabei einen Stapel von Briefkarten, die mein Vater an sie geschrieben hatte von einer Kur ib Bad Berneck, wo er vier Wochen von ihr getrennt war. Das war 1956, und ich las, wie sein Zustand immer kritischer wurde, bis er schwor, dass er sich nie wieder so lang von seiner Frau trennen lasse. In jenem Jahr wurde ich wie schon erwähnt in das „Kinder- und Waisenhaus Martha-Maria“ eingeliefert, und mein Vater war es, der mich dorthin fuhr. An den Wochenenden holte er mich meistens auch ab und fuhr mich dann wieder hin, die Mutter war niemals dabei. Und als ich ihn einmal fragte, warum er das tue und mich dorthin brachte, wo ich ihn doch gebeten hatte, mich nie mehr zu bringen, da gab er zur Antwort, es ginge nicht anders. Später befragte ich meine Mutter danach, und sie, schon den Tod im Leibe, versicherte mir glaubwürdig und zu meinem Entsetzen, der Walter habe ihr von einem solchen Gespräch nie etwas gesagt und sie sei der Meinung gewesen, ich wäre gerne dorthin gegangen – so wenig hat sie mich wahrgenommen.        

Bis zu meiner Einlieferung in das Heim hatte ich einen Ausgleich zu meiner verrückten Familie nur in den Spielen mit anderen Kindern und war so oft es nur ging draußen den ganzen Tag. Intern litt ich unter mehreren Sachen: da ist zuerst der Bruder zu nennen, dem ich von Anfang an nicht gepasst hatte und der mich gnadenlos dominierte. Ich war ihm ausgeliefert, denn wir bewohnten jahrelang ein einziges Zimmer, und er war mir in jeder Hinsicht überlegen. Ich weiß noch, wie wir einmal mit Indianer-Figuren spielten, und weil er mich auf einem fairen Weg nicht besiegte, führte er plötzlich einen Luftkrieg gegen mein Lager, das er hemmungslos bombardierte – und ich heulte auf, nicht bloß wegen der Zerstörung, sondern auch darum weil es doch bei den Indianern Bomben nicht gab. Ein anderes Beispiel war seine Fähigkeit, selbst meine besten Freunde gegen mich aufzuhetzen, sodass ich die Welt nicht mehr verstand. So gut es ging, vermied ich einen Zusammenstoß mit ihm und zog mich in mich zurück, froh nur darüber dass er draußen andere Kameraden hatte als ich. Zu meinen Eltern hatte ich kein Vertrauen, der Vater war eine blasse Figur, die über seine Defizite als Säugling nie hinaus wuchs und die Ehefrau als Mutterersatz nahm, den er sogar gegen seine eigenen Kinder zu verteidigen hatte. Seine Mutter hatte vor ihm zwei Kinder verloren, und er hatte den Klumpfuß; bereits ein Jahr nach ihm kam seine Schwester zur Welt, der Liebling der Mutter. Und meine Mutter? Sie hatte ihn als Vaterfigur geheiratet, die ihr „Sicherheit“ geben sollte, und der Altersabstand von ihr zu ihm ist exakt derselbe wie der zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter, von der sie sich nie ganz lösen konnte. Ihre Berührung war mir immer zuwider, und ich entwand mich vor Ekel ihrem Wunsche danach, teils weil ich die Abscheu vor Frauen von der Irma auf sie ausgedehnt hatte, teils aber auch, weil sie mir viel zu gefühlskalt war und ich ihren Affekten nicht traute. Dazu ein Beispiel, das mir schlagartig klar machte, welch eine raffinierte Schauspielerin sie war. Ich war vielleicht 12, als es wieder einmal Streit in der Familie gab, entzündet von meinem Bruder mit einer Attacke gegen den Vater, der meine Mutter mit hineinriss, die schließlich in Tränen ausbrach; da klingelte es, und im Nu war meine Mutter vollständig verwandelt, der herein kommende Besucher merkte nichts von dem Gewitter, und ich guckte ganz blöde.

So hätte ich eigentlich froh sein können, aus dieser Familie entfernt zu werden, aber ich wurde es nicht, denn in dem Heim waren „Methodisten“ am Werk, die eine perfide Gehirnwäsche betrieben mit Tagebuchschreiben und lautem Vorbeten der Kinder. Dem entzog ich mich soweit wie möglich durch schweigenden Trotz, doch hinzu kam die sexuelle Note, die das perverse System durchzog und manchmal schrill aufklang. Es waren ja alles unbefriedigte Frauen, die sich einen Glauben an den „süßen Herrn Jesus“ einbildeten und sich schadlos hielten mit sadistischen Spielchen. Die Buben waren streng getrennt von den Mädchen, und ich kann mich an gar kein Mädchen erinnern außer an die Tochter des Hausmeisters, an die Ruth mit ihren Zöpfen, die manchmal freien Ausgang hatte und in die ich mich verliebte, aber sie niemals ansprach. Es konnte passieren, dass man den Gang entlang ging und die „Schwester“ Hanna kam einem entgegen; plötzlich ergriff sie einem das Ohr, drehte es heftig und ohne jeglichen Anlass sehr schmerzhaft herum und stieß dabei zischend hervor: „Warte nur, bald weht ein anderer Wind!“ Und im Duschraum machten sie sich ein Vergnügen daraus, die nackigen Buben abszuspritzen mit dem Schlauch, mit Vorliebe zwischen die Beine, wobei sie zur  Reinigung der Geschlechtsteile auch manchmal ihre Hände anlegten.

Die erste Zeit war für mich ein Horror auch darum, weil ein rothaariger Junge voller Warzen es auf mich als sein Opfer auserkoren hatte und mich gnadenlos tyrannisierte. Ich wünschte mir den Tod, aber irgendwie schaffte ich es dann doch noch, ihm auszuweichen, ich glaube, es war die Schutzherrschaft des „Bautzi“ genannten 14-jährigen Knaben, des einzigen Insassen diese Alters, der auswärts zur Schule ging  – die Heimschule hatte in einem Zimmer nur die ersten vier Klassen. Uns allen, die wir nur sechs bis zehn Jahre waren, imponierte er als Held und Vorbild, als einziger „Mann“. Eine zweite Ausnahme war noch ein 12-jähriger Waise, der dem Bautzi, dem König, ergeben als Knappe diente, und wir anderen waren sein Hofstaat. Es gab eine regelrechte Rangfolge in der Gunst des Regenten, die sich verschieben und um die gebuhlt werden konnte. Der glücklichste Tag meines Lebens war damals der, an welchem der Bautzi, der aus Aschaffenburg kam, ein Wortspiel machte, das seine und meine Geburtsstadt verband in einem Affen mit einem weissen Arsch und zwei Burgen.

Die verwahrlosten Frauen wurden manchmal von Glaubens-Genossen besucht, von Missionaren aus Afrika etwa oder anderen „Brüdern“, und das waren dann immer ekstatische Feiern. Ich selbst hatte aus irgendeinem Grund die besondere Aufmerksamkeit der Diakonissen erregt, vielleicht durch die Schulschwester Margarete, der meine Intelligenz aufgefallen war und die mich eines Tages zu sich bestellte und mir eindringlich vorwarf, mein Buhlen um die Gunst des Bautzi sei meiner nicht würdig, sie sei von mir tief enttäuscht und ich sollte es fortan unterlassen, sie war regelrecht eifersüchtig. Zuvor war ich aber zu meinem eigenen Erstaunen schon im Bett liegend aus dem Schlafsaal geholt worden, um im ersten Stock einem „Gottesdienst“ beizuwohnen – als einziges Kind! – was sich fortan wiederholte. An diesen Abenden heizte ein Mann, der wohl der Betreuer der Nonnen gewesen ist, diesen ein mit glühender Inbrunst, und sie waren tatsächlich beim Singen so verzückt und hysterisch, dass ich sie kaum mehr erkannte und mir sehr verloren vorkam.

In diesem Heim der Kinder und Waisen mussten diese bei der Arbeit mithelfen, so auch ich, obwohl meine Eltern bezahlten. Wir mussten tagelang Mockeln aufsammeln in riesigen und zahllosen Säcken, damit bestritten die Schwestern das ganze Heizmaterial für den Winter. Das Beerensammeln gehörte auch noch dazu, einen Teil bekamen wir auf Kuchen wieder, der andere wurde vermarktet. Eines Tages bemerkte ich im Gespräch mit einem Kameraden vertieft, dass wir den Anschluss auf dem Weg zur Arbeit schon fast verloren hatten, und ich schlug ihm vor, einen eigenen Weg einzuschlagen. Wir streiften den ganzen Tag glücklich und frei durch die Wälder, aber als die Nacht kam, mussten wir doch wieder zurück. Zur Strafe wurden wir an demselben Abend in die Duschräume gesperrt (ich in den der Mädchen, was mich seltsam erregte) mit der Drohung, bevor wir nicht ein Lied von Paul Gerhardt mit über 20 Versen auswendig könnten, kämen wir nicht mehr heraus. Wir verständigten uns die Nacht über mit Klopfzeichen durch die Wasserröhren, und sie mussten uns am nächsten Tag wieder herauslassen, die Räume wurden gebraucht. Aber daran hatte ich vor Schrecken erstarrt nicht gedacht und lernte tatsächlich die sämtlichen Verse auswendug.

 

Niemals konnte ich mit meinen Eltern über dergleichen reden, bei meinem Vater hatte ich die Sinnlosigkeit einsehen müssen und an meine Mutter dachte ich garnicht. So kam ich als schon vollständig verschlossenes Kind mit 10 Jahren nach dem Bestehen der Aufnahmeprüfung auf die „Dürer-Oberrealschule“ im Nürnberger Westen. Mein Schulweg führte am ehemaligen Justizpalast vorbei, in welchem 13 Jahre vor meiner Geburt die berühmten „Nürnberger Gesetze“ verabschiedet wurden und drei Jahre vor meiner Heburt verbliebenen Nazis der Prozess gemacht wurde. Meine Alpträume intensivierten sich, während ich mit meinen Eltern ein bis zwei Jahre darum stritt, nicht nach der Schule den langen Weg mit der Straßenbahn ins Zentrum machen zu müssen, um mit ihnen zum Essen zu gehen, und danach wieder zurück. Ich bekam schließlich das Recht, allein in meinem Stadtteil zum Essen zu gehen, und von 12 bis 19 aß ich unter der Woche alleine im Gasthaus, fast täglich Fleisch und mit Vorliebe die Lebern von Rindern und Schweinen. Dazu stopfte ich mir jede Menge Süßigkeiten hinein, womit ich schon früher anfing, und habe deswegen bis heute sehr schlechte Zähne, die mir sehr viel Ärger und Schmerzen bereiten.

Bei den Nachbarn, die den Kontakt mit der Irma über deren Weggang hinaus und bis zu ihrem Tod aufrecht erhielten, war 1958 eine zweite Tochter, die Karin, geboren worden, und ich nahm mich dieses Kindes so sehr an, dass alle sich wunderten. In Wahrheit wärmte ich meine bedürftige und ausgehungerte Seele an ihr, und sie ließ es sich gefallen und schmuste sehr gerne mit mir. Als dann mein Geschlechtstrieb erwachte und sie mit ihren drei bis vier Jahren auf meinem Schoß herumsaß, erregte mich das sehr, und ich ließ sie heimlich reiten auf meinem hart und steif gewordenen Fallos. Einmal griff ich ihr dabei zwischen die Beine, und auch das genoss sie -- so anschmiegsam und hingebungsvoll war sie zu mir; doch ich erschrak, vermied fortan den Kontakt und fühlte mich jahrelang so schuldig wie ein Verbrecher. Die Selbstbefriedigung war mir wie schon gesagt darum verwehrt, weil jede direkte Berührung des Penis mir Schauder erregte. So blieben mir nur die spontanen nächtlichen Samenergüsse, und meine Träume waren alle furchtbare und perverse Orgien aus dem Rom der Dekadenz seit den Kaisern. Ich schämte mich wahnsinnig dafür, auch wegen der Flecken im Bett, die meine Mutter sehen musste, weil sie meine Laken abzog. Ihre Einstellung war mir insofern bekannt, als sie,kaum waren mir die Haare in den Achselhöhlen gewachsen, befahl, sie ab sofort mit einem „Bac-Stift“einzureiben, weil ich sonst stänke.

Die Traumfantasien brachen auch in mein Tagesbewusstsein, besonders unwiderstehlich beim jährlichen Hören der Matthäus-Passion von Bach; da sah ich Orgien der Gewalt nicht nur vor mir ablaufen, sondern mit mir als Opfer darin – etwa von der Art wie ich sie später bei de Sade dargestellt fand, nur nicht so mechanisch, sondern mit abscheulicher Lust an der Qual.

Irgendwann roch ich einmal beim Ablegen meiner Kleider in den Wäschepuff vor dem Besteigen der Badewanne den Geruch der Unterwäsche meiner Mutter, und ich zog ihre Strümpfe, den Büstenhalter und Unterrock samt dem Korsett heraus und mir an, stieg dann auf den Stuhl, um mich so gekleidet und mit erigiertem Fallos im Spiegel zu sehen, ohne ihn je anzufassen. Das behielt ich als Gewohnheit bis zum Wegzug aus meiner Familie bei, und später behalf ich mir mit teils gekaufter, teils gestohlener Unterwäsche von Frauen, um mich selber als Frau und als Zwitter zu fühlen. Die Erklärung für dieses Verhalten gab mir meine Mutter damit (ohne dass ich es ihr jemals gestand), sie habe sich während sie mit mir schwanger war ein Mädchen gewünscht und an einen Buben überhaupt nicht gedacht, ich hatte also das falsche Geschlecht. Und das versuchte ich wettzumachen und mich heimlich mit ihr, die mir mit der Ausnahme ihres Sterbens zu ihren Lebzeiten immer fern blieb, zu verschmelzen.

Eine zweite Geschichte während meiner Zeit in ihrem Leibe war die, dass der Vermieter der Wohnung und des Geschäftes in Weissenburg, ein ehemaliger KZ-Häftling und Jude, hinter ihr her gewesen sein soll, wobei ihn offenbar ihr schwellender Bauch noch mehr erregte, weil er seine Nachstellungen intensivierte. Ich weiss nicht, was daran wirklich oder nur ihre Fantasie war, eine Projektion des jüdischen Sexualtäters ihrer Mutter damals in Fürth, auf jeden Fall hat es mich sehr tief geprägt. In meiner Jugend konnte ich aber das hier Mitgeteilte nicht wissen und schämte mich nur furchtbar für Alles.

Nach der Rückkehr von mir und meinem Bruder aus den Heimen zu unseren Eltern bekam jeder von uns ein eigenes Zimmer, und ich konnte ihn besser auf Abstand halten, wodurch er an Macht und Einfluss verlor. Im Januar 1962 rächte er sich dafür an mir, indem er mich in einen schrecklichen Gewissenskonflikt hinein stieß, indem er zu mir sagte, ich könnte ab 14 Jahren selber entscheiden, ob ich konfirmiert werden möchte oder nicht -- aber für eine solche Entscheidung sei ich ja  zu feige, fügte er höhnisch hinzu. Ich prüfte mein Gewissen und kam zu dem Ergebnis, dass ich zu den Dogmen der lutherischen Kirche, in deren Klauen ich mich seit meiner Zwangstaufe befand, nicht Ja sagen konnte, und teilte dieses zuerst dem Vater mit. Der reagierte ablehnend und sagte, so etwas könne ich nicht machen, keiner mache so etwas, und wenn ich schon nicht glaubte, so stünde es mir frei, bei dem geforderten lauten Ja in der Kirche den Mund zu halten. Ich war schockiert, er nahm mich nicht ernst und der Konfirmations-Anzug meines Bruders wurde vom Schneider auf meine kleinere Größe umgearbeitet, so als hätte ich gar nichts gesagt. Ich wandte mich sodann an den Pfarrer, den gestrengen Bammessel, und vor Angst drohte mich mein wild schlagendes Herz zu zersprengen. Er kündigte einen Hausbesuch bei mir an für die nächste Woche, und die ganze Zeit zitterte ich vor seinem Kommen. In meinem eigenen Zimmer kanzelte er mich ohne Zeugen so gewaltig ab, dass ich nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand. Und nur um mein Gesicht vor mir selber zu wahren, redete ich mir vor der Konfirmation, die kurz nach meinem 14. Geburtstag erfolgte, ein, ich sei nun ein gläubiger Christ. Aber am Tag des Vollzuges war ich wie zerschmettert und traute mir kaum mehr, jemandem in die Augen zu schauen.

Die Pubertät war für mich eine womöglich noch unseeligere Zeit als die Kindheit. Ich knirschte ständig mit den Zähnen und zermalmte mir dabei einen Backenzahn, auch konnte ich es nicht unterlassen, an meinen Fingernägel-Falzen herum zu zupfen, bis sie zu bluten anfingen. Den Daumen hatte ich nahezu ständig beim Ausgehen in den vier anderen Fingern versteckt wie ein Säugling, und was das Schlimmste war: ich entwickelte eine extreme und abstoßende „Akne conglobata“mit unzähligen Pickeln, die sich sehr oft zu Beulen auswuchsen und sich dann entweder abkapselten und auch mein Gesicht entstellten oder sich entzündeten und unter Schmerzen entleerten. Diese Beulen musste ich mir bis in meine 30er Jahre des öfteren herausschneiden lassen, und erst viel später erkannte ich den Sinn dieser Krankheit: mit der Verstopfung der Ausführungsgänge der Talgdrüsen waren gleichzeitig auch die mit diesen gemeinsam mündenden Gänge der Duftdrüsen verschlossen, die der sexuellen Anlockung dienen. Deren Unterdrückung diente die Akne, und verstärkt wurde die Abwehr noch durch das schreckliche Aussehen, für das ich mich am liebsten im Boden verkrochen hätte.

Die Angst vor dem andere Geschlecht funktionerte bei mir, ich hatte erst zwi Jahre nach dem Weggang von Nürnberg sexuellen Verkehr, und da war ich 21. Mit 17 begann jedoch ein sehr abstruses Verhältnis zwischen mir und einer 15 Jahre älteren Lehrerin, das zweieinhalb Jahre darauf zu einem Doppel-Suizid-Versuch führte. Bevor ich darauf näher eingehe, muss ich noch den Unfall erwähnen, den ich mit 15 erlitt und bei dem mich ein Auto von hinten zusammenfuhr, so dass ich mit dem Kopf voran vom Fahrrad aufs Pflaster stürzte. Nur der Kopf war verletzt, fast die ganze rechte Schädelseite war eine klaffende Wunde, eine kleinere war am Kinn aufgeplatzt, die drei oberen Schneidezähne waren zertrümmert, und durch den Contre-coup trug ich im linken Ohr einen Hörschaden davon. Ich war bewusstlos, erwachte aber noch an der Unfallstelle und hatte das Gefühl, im Kopf sei nun alles zerbrochen, die Schmerzen waren unbeschreiblich. Bei der Naht der Wunden spürte ich jeden einzelnen Stich, ich wurde nicht betäubt und eine Lokalanästhesie war nicht möglich, man hielt mich mit Gewalt fest, und als ich nachher randalierte, wurde ich unter „Librium“ gesetzt, einem potenteren Verwandten von Valium. Das war in Koblenz gewesen, wohin ich mit einem Freund eine Radtour gemacht hatte, mit ihm hatte ich mich am Vorabend zerstritten, und jeder von uns beiden fuhr seinen eigenen Weg. Als nach drei Wochen meine Eltern ankamen, um mich abzuholen (die Mutter war zuvor schon rinmal da gewesen, aber ich hatte sie nicht erkannt), da sagte ich ihnen, sie seien mir völlig fremd und so wie sie könnten beliebige andere Leute herkommen und behaupten, sie seien meine Eltern und hätten ein Recht dazu, mich mitzunehmen. Sie waren natürlich schockiert, eine kleine Rache war das von mir, und nachher wurde ich auf die „Löblein-Oberrealschule“ geschickt, die später in „Hans-Sachs-Gymnasium“ umgetauft wurde. Ich war nämlich nach unserem Umzug von Neusündersbühl nach Schoppershof 1963 noch drei Jahre „in die Dürer“ gegangen, den langen Weg auf mich nehmend mit der Straßenbahn – und das nur aus Anhänglichkeit an die Schulkameraden, nachdem ich schon zweimal alle Freunde verloren hatte (nach der Unterbringung in das Heim und nach dem Verlassen desselben). In der Nachwirkung des Unfalls war ich viel zu weit ausserhalb meines Körpers (ich schwebte wochenlang in großen Höhen) als dass ich Widerstand leisten konnte. Auf dem nun kürzeren Schulweg zu Fuß durch den Stadtpark wurde ich jeden Morgen von Alptraum-Visionen heimgesucht, es waren immer die gleichen: SS-Männer würden mich packen und foltern, bis ich alles gestand, was sie von mir hören, und jeden verriet, den sie genannt haben wollten. Dasselbe Grundmotiv war in den nächtlichen Träumen über Jahre lang als meine Verfolgung und Tötung gestaltet, in meiner Traumwelt hausten schreckliche Killer. Und erst sehr viel später erfuhr ich, dass das Gelände, auf dem sich heute der Nürnberger Stadtpark befindet, im Jahr 1348 der Schauplatz war des Gemetzels an den vom nachmaligen Hauptmarkt vor die Tore der Stadt getriebenen Juden.

Die schon erwähnte Lehrerin hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Irma, was mir aber damals noch nicht bewusst war, und sie hieß auch so ähnlich, nämlich Irmin. Ich hatte sie nicht im regulären Unterricht, sondern mit unserer Kunsterzieherin zusammen zum Theaterspielen, das mir schon in der vorigen Schule als wohltuender Ausgleich  zur täglichen Last gedient hatte. Dieses Mal aber erleichterte es mich nicht, denn die Irmin, die wie ich später herausfand, zwar mit einem Gymnasialdirektor in Schwabach verheiratet war, aber die Ehe mit ihm niemals vollzogen hatte und mit Anfang 30 immer noch Jungfrau war -- war eine schwerkranke Frau. Und sie küsste mich und umarmte mich im Stadtpark eines Nachts nach der Probe und einem Kneipengelage. Sie sagte später, die Initiative sei von mir ausgegangen, aber ich weiss genau, dass das nicht stimmt, denn ich hatte beim Küssen im Mund noch einen Bissen von einem Brot und musste ihn vor ihrer fordernden und stoßenden Zunge verstecken und schlucken. Trotzdem schaffte sie es, mich bei unseren ersten heimlichen Treffen (unter dem Vorwand von Proben jeden Dienstag nachmittag in einem leeren Klassenzimmer zunächst) dazu zu bringen, dass ich ihr ein Gedicht schrieb von dem „Wunder unserer Liebe“, die für mich wie ein hypnotischer Bann war. Ich war tatsächlich von ihr verhext, und da ich sie nicht befriedigen konnte – ausser sie Küssen und ihr gelegentlich zwischen die Beine mit der Hand Fahren war bei mir nichts drin – wurde sie zunehmend hysterisch, was meinen schon von Anfang an bestehenden Ekel verstärkte. Ich war aber ausserstande, mich von ihr zu lösen, unsere Treffen fanden inzwischen in ihrer Wohnung statt, nach ihrer Trennung vom Gatten, und sie schien darau zu warten, wann ich soweit wäre. Sie sprach von unserer „Liebe“ wie von einem göttlichen Wunder und versuchte, ihre Unruhe zu lindern mit nächtlichen Eskapaden per Eisenbahn, wo wir in verschiedenen Städten in Bars herum hingen bis in den Morgen, wobei sie reichlich Alkohol trank und oft genug auf dem Wege umsank. Einmal hatte sie mich zum Beobachten der Leoniden, eines Sternschnuppen-Schwarmes in die Wildnis gelockt und eine Flasche Wodka dabei, es war Winter, und sie verlangte plötzlich von mir, ich sollte sie halten und küssen, was ich ablehnte. Da sank sie in den Schnee und wollte sterben, die halbe Nacht über musste ich sie ins Leben zurückzerren, und erst mit dem Morgengrauen kam sie zu sich. Daheim musste ich lügen, denn ich wahrte streng unser Geheimnis, und mit einem Schulfreund sprach ich ab, ich sei in dieser Nacht bei ihm gewesen und zu betrunken gewesen, um anzurufen.

Mit 18 unternahm ich einen Vorstoß zur Trennung von ihr, und überreichte ihr von Weissenburg kommend in Pleinfeld, wo wir uns verabredet hatten, einen Brief und rannte so schnell ich konnte den ganzen Weg ohne Pause zurück in der Vorstellung, sie verfolge mich durch die Lüfte. Als sie mich in der Woche darauf auf dem Schulhausgang ansah, war ich ihr wieder verfallen, ich machte aber seither den „Doppelselbstmord“ zum Thema, und wir, die wir die meiste Zeit über Literatur sprachen und sie lasen, nahmen uns auf meine Anregung Heinrich von Kleist zum bevorzugten Dichter. Sie ging bereitwillig darauf ein und sagte zu mir, sie überließe mir den Zeitpunkt, frage aber nicht nach dem Grund. Sie hat bei sich selber zu wenig nach den Gründen gefragt, und erst später erfuhr ich, dass sie so wie meine Mutter (und auch meine Tante) sich in den Krallen ihrer Mutter befand, die sie alleine aufgezogen hatte; ihr Vater, ein Russe, war nach ihrer Zeugung in die Schweiz abgetaucht, und ihre Mutter blieb ledig.

Weil ich einsehen musste, dass ich in Nürnberg nicht von ihr loskam, tat ich alles, um diese Stadt zu verlassen, der Vater gab an, mich dabei nicht zu unterstützen, ich könnte mein Zimmer behalten und in das nahe Erlangen gehen, was mir absolut nicht gefiel. So schuftete ich 1967 nach dem Abitur wochenlang in den Nächten, während die anderen feierten, in der Milchversorgung und verdiente nicht schlecht. Im Sommer mietete ich mir ein Zimmer in Freiburg im Breisgau und trampte über die Schweiz nach Italien, soviel Geld hatte ich. Nach Florenz und Rom fuhr ich mit dem Schiff nach Sardinien und lebte ein paar Tage am Strand, wo mich eines Nachts der Geist der Irmin einholte. Es war dies ein mir sehr unheimliches Erlebnis, ich hatte das Gefühl, als habe ihr Geist in der Gestalt eines Geiers so lange gekreist, bis er mich entdeckte, und sich dann auf mich gestürzt. So fysisch nah und verzehrend war mir ihre Gegenwart plötzlich, und der Gedanke, ich könnte ihr nirgends entfliehen, immer würde ihr Geist mich einholen, lähmte mich und machte mich dem Tode geneigt.

Irgendwann im Alter zwischen 16 und 17 hatte ich ein anderes unangenehmes Erlebnis. Ich war in der Wohnung ein Wochenende völlig alleine und las lang und laut aus der Apokalypsis. Irgendwann musste ich aufs Klo und schaute nach dem Pissen in den dort hängenden Spiegel. Weil ich wohl hyperventiliert hatte, wie ich es mir jetzt erkläre, war ich wie steif und trotzdem vibrierend, besonders um die Lippen herum und in den Händen, sodass ich vor Entsetzen von meinem Spiegelbild nicht zurückweichen konnte, sondern förmlich eine unmessbare Zeit an der Teufelsfratze klebte, die mich höhnisch grinsend daraus anstarrte. Den Teufel gab es also in mir, ja ich selbst war des Teufels.        

Es war am 9. Oktober 1967, am 68. Geburtstag meiner Großmutter Hedwig, dass mein Vater Walter am Steuer, neben ihm seine Frau Lotte und hinten die Hedwig und ich, einen Ausflug nach Ansbach machten auf den Wunsch meiner Oma. Sie war als junge Frau dort zum Tanzen gegangen, und auf der Rückfahrt am Sonntagabend war sie sehr aufgekratzt. Sie sang mit ihrer schönen und brüchigen Stimme das Lied „Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder“ – und erzählte anzügliche Witze, zum Beispiel den: „Wie kann eine Frau schwanger werden von Hoffmanns-Tropfen?“ Als keine Antwort kam, stieß sie prustend heraus: „Ja, wenn der Arzt Hoffmann heißt!“ Ich muss noch ergänzen, dass meine Oma, seit ich geschlechtsreif war (oder fiel es mir damals erst auf?), sich mir mit einer seltsam brünstigen Ausstrahlung näherte, ich nahm ihren mit Parfüm übertönten Modergeruch wahr und fühlte mich hoffnungslos elend. Diesmal trieb sie es noch weiter, ja sie bezirzte mich wirklich, sodass ich nach dem Abendessen unter dem Vorwand, einen Freund zu besuchen, zu der Irmin ging und ihr erklärte, der Zeitpunkt sei da, sie solle jetzt ihr Versprechen erfüllen. Und wirklich tat sie es auch, ohne zu fragen warum, aber es stellte sich heraus, dass sie im Gegensatz zu mir einen Liebestod fantasiert hatte, denn sie verlangte den Coitus. Ich war dazu ausserstande und nicht gewillt, ihren Wunsch zu erfüllen, zum Zeichen dafür schor ich mir die Haare ab wie ein buddhistischer Mönch. In meinem Abschiedsbrief schrieb ich etwas von einem „unaufhaltsamen Entselbstungs-Prozess“, dem ich zuvorkommen wolle,  und dass niemand daran schuld sei, insbesondere nicht meine Mutter. Dann nahmen wir hochprozentigen Alkohol zu uns und ein paar Röhrchen von ihren Beruhigungs-Tabletten. Der nächste Tag war schulfrei, aber ihre Kollegin, die Kunstlehrerin, schien etwas gerochen zu haben, denn als auf ihr unangemeldetes Klingeln niemand öffnete, rief sie sofort Polizisten, die die Wohnung aufbrachen. Ich erwachte auf der Selbstmörder- und Vergiftungsstation, und der Arzt drohte mir damit, mich nicht zu entlassen, wenn ich ihm nicht alles gestände. Ich blieb trotzig und stumm, er bekam nichts aus mir heraus und musste mich unaufgeklärt laufen lassen.

In Freiburg, wo ich dann verspätet mit dem Medizin-Studium begann, wurde meine Lage anfangs nicht besser. Die Irmin hatte mich anlässlich eines von ihr so genannten „Blauen Wunders“ auf einer Brücke, wo ich sie eines Nachts tatsächlich mit weniger Ekel küssen konnte als sonst, zum Malen desselben animiert, und da ihrer Meinung nach dabei ein Mandala herauskam meinen Tod mit 34 Jahren vorhergesagt. Der Zugang zum anderen Geschlecht war mir versperrt, einmal hatte ich in Nürnberg eine Hure gesehen, die mein Herz aufgewühlt hatte, aber ich war viel zu feige und ängstlich, mich ihr zu nähern. Hoffnungslos verliebt war ich vor der Irmin schon zweimal, ohne dass die Angebeteten etwas davon ahnen konnten, weil ich mich nicht äusserte. Eines Sonntags, ich war vielleicht 18, sah ich auf dem Rechenberg eine junge Frau auf dem Hügel, den Rock in der Frühlingssonne bis über die Kniee gerutscht ein Groschenheft lesen, und ich eilte ganz spontan zu ihr hin, frug sie: „Darf ich Ihnen vorlesen?“ – sie blickte nur auf und rannte im selben Moment schon davon, als hätte sie einen Waldteufel erblickt. Das wirkte nachhaltig auf mich, und so versuchte ich mein Glück zuerst in einer Animierbar, wo ich es schaffte, mit einer Dame im Separé eine Zeit zu verbringen, doch für mehr reichte mein Mut nicht. Nach dem dritten Besuch ging ich nicht zur Haustüre hinaus, sondern stieg im  Treppenhaus bis ganz hoch und durch ein offenes Fenster aufs Dach. Ich kletterte ein wenig herum, da sah ich durch ein offenes Fenster eine Frau alleine in einem Bett liegen und schlafen. Ich stieg zu ihr ein, denn ich glaubte zu träumen, sie erwachte sofort und verwies mich energisch aus ihrer Wohnung. Ich gehorchte, klingelte dann aber noch einmal bei ihr, woraufhin sie mir mit der Polizei drohte. Ich trottete wie betäubt davon und auf meinem Weg in mein Zimmer überschritt ich die große Eisenbahnbrücke nicht auf dem gewöhnlichen Weg, sondern über die dreifach geschwungenen hohen Bögen ohne Geländer, wo ich sehr leicht hätte abstürzen können nicht nur auf die Fahrbahn hinunter, sondern auf die noch viel tiefer gelegenen Eisenbahngleise. In den folgenden Nächten wiederholte ich die nämliche Übung und war dabei wie ein Schlafwandler. Dann wurde mir dieses mein Verhalten doch etwas suspekt, und ich ging zu der psychotherapeutischen Beratungsstelle für Studenten. Der Arzt hörte mich an und wies mich gleich für den anderen Tag in die geschlossene Abteilung der psychiatrischen Universitätsklinik ein, von wo ich nach ein paar Tagen in eine offenere Abteilung verlegt worden bin und nach drei Wochen ohne Medikation wieder entlassen wurde. Man hatte mich gründlich untersucht und mir eine „schizoide Persönlichkeits-Störung“ bescheinigt mit dem dringenden Rat, eine Psychotherapie zu machen, was ich aber ablehnte mit der Begründung: „Hätte Franz Kafka eine solche gemacht, dann wäre er nicht zu einem so wunderbaren Dichter geworden“.

Denn ein Dichter wollte auch ich insgeheim werden, in Deutsch war ich immer der Beste, und meine ganze Pubertät spielte sich ab literarisch, mit noch nicht 14 begann ich, Dostojewski zu lesen. Und das hörte nicht auf, selbst das Verhältnis mit der Irmin war mehr literarischer Natur als Wirklichkeit. Ich begann schon sehr früh zu schreiben, was ein Selbstheilungs-Versuch war, um den unsagbaren Schrecken einen sprachlichen Ausdruck dennoch zu verleihen. Doch vor die Frage gestellt, was ich studieren sollte, wo das Studium der Germanistik und Historie nach dem Beispiel meines Onkels so nah lag – aber die Zwangsanstalt Schule wollte ich nie wieder betreten! – da sagte ich mir: „Werde Arzt! Wenn dann von dem Dichter noch etwas übrig bleibt, soll er sich melden, wenn er aber angesichts des menschlichen Elends verschwindet, dann war es nicht schade um ihn.“ Mit hinein gespielt hat da womöglich auch mein erneut gescheiterter Versuch, wenigstens einmal meinen Bruder zu erreichen, wenn nicht zu übertrumpfen, denn er hatte für seine Schriften schon Preise bezogen, während die meinigen niemandem außer der Irmin gefielen, die einen abscheulichen „Geniekult“ mit mir trieb, was ich zwar durchschaute, mir aber dennoch gefallen ließ. Unbewusst hat bei meiner Berufswahl wohl auch das Motiv eine Rolle gespielt, meine kranken Eltern verstehen, wenn nicht gar heilen zu können.

Nach meinem Aufenthalt in der Psychiatrie hat mein Bruder die schockierten Eltern beraten, er war im 5. Semester seines Psychologie-Studiums und quasi ein Fachmann. Er missverstand die „Schizoidie“ als „Schizophrenie“ und hat das bis heute nicht zurückgenommen. Auf seinen Rat hin bot mir der Vater an, eine Psychoanalyse zu bezahlen, was ich auch bei ihm zurück wies. Und mir selbst riet mein Bruder, meine Angst vor den Frauen bei Huren abzubauen, in Istanbul gäbe es wunderbare und garnicht so teure. Ich befolgte den Rat und trampte tatsächlich durch Jugoslawien und Bulgarien bis nach Istanbul, wo ich die Huren auch sah, aber so tief bewegt war von ihrem Anblick, dass ich erkrankte. Es war ein Atemwegsinfekt, der mich schier erstickte, und ich wollte so schnell wie möglich wieder zurück. Mit einem üblen Trick brachte mich ein Türke um mein Geld für die Heimfahrt, und mein Vater musste mir welches schicken.

Im Jahr darauf, im Jahr 1969 nach dem Tode der Hedwig und als die „Studenten-Bewegung“ auch in Freiburg aktiv war und ich mitten darin, begleitete ich einmal eine Frau zur Abfahrt auf den Bahnhof. Vor dem wartenden Zug umarmte sie mich so plötzlich wie heftig, dass mich das Zittern ihres Körpers durchbebte, und am selbigen Abend rieb ich mir meinen Fallos nicht direkt mit den Händen, sondern mit der Bettdecke so sanft wie nur möglich – meine erste Masturbation! Nicht viel später ging ich dann zum ersten Mal zu einer Hure, es gab da einen Autopuff nicht weit von meinem Zimmer; vor der Abfahrt zu einer Unterführung standen zwei oder drei Autos mit käuflichen Frauen darinnen. Ich weiss nicht mehr, wie oft ich an ihnen vorüber gelinst hatte, bis ich endlich das Angebot von der einen, die ich mir vorgestellt hatte, nicht mehr ablehnen musste, sondern zu ihr in das Auto einstieg. Sie fuhr auf einen einsamen Parkplatz, und auf dem herunter gekurbelten Sitz kam ich so schnell, dass sie mir kaum den Pariser überziehen konnte und meine Milch ihre Hände befleckte – an ein Eindringen war garnicht zu denken. Es bedurfte vieler Versuche, bis ich endlich soweit war, dass meine Erregung azs Angst nicht mehr so überschnell war, und das erste Mal, als ich im Schoß einer Frau kam, war unvergleichlich schön, es war eine liebe, die es selber genoss. Seither bin ich ein Liebhaber von Huren bis heute – mit einer Unterbrechung nur in den ersten elf Jahren der Ehe.

 

Meine ersten Freundinnen waren Frauen, die es mit der Treue nicht hielten und sich immer abgaben mit mehreren Männern zugleich; und ich hatte schon schwer zu kämpfen mit meiner Eifersucht, einer lästigen Qual. Doch das Rauchen von Haschisch und die Freizügigkeit in der anfangs sehr kreativen politischen Arbeit linderten sie, bis die Bewegung mit der Verabschiedung der „Notstands-Gesetze“ zerbrach. Sie war ins Leere gestoßen und zerfiel in drei Teile: in den „esoterisch“ und apolitisch gewordenen Flügel und in die zwei, die weiterhin Politik machen wollten, nur mit verschiedenen Methoden, die einen durch den Aufbau einer „Kommunistischen Partei Deutschlands“, die anderen durch Terrorismus. Ich schloss mich nach dem Wechsel von Freiburg nach Hamburg nach dem Fysikum dem „KHB“ an („Kommunistischer Hochschulbund“), einer Unter-Organisation der zuerst „SALZ“ („Sozialistisches Arbeiter- und Lehrlings-Zentrum“) genannten Gruppierung, die sich später in die „KPD-AO“ umgetauft hat („KPD-Aufbau-Organisation“).    

Ich suchte nach Strukturen, aber diese waren so getreue Abbilder der Ideen von Lenin und Mao, dass sie jedes aufkeimendes Leben erstickten. Einmal muckte ich gegen eine nicht nachvollziehbare Regelung der oberen Ebene auf und gewann die Mehrheit der Runde für mich, der Kader wurde ratlos und isoliert. In die nächste Sitzung kam ein Oberkader von der Spitze mit dazu und machte mich als „Kleinbürger“ fertig, mit rhetorischen Seifenblasen ohne Themabezug, jedoch in so schneidendem Ton, dass alle glaubten, ich sei ein Verräter der Weltrevolution. Ich kuschte, da es kein einziger wagte, mir beizustehen, und bekam die Gnade gewährt, durch „Öffentliche Selbstkritik“ wieder rehabiliert zu werden. Und das Erschreckendste dabei war, dass ich kurz darauf in der Untergruppe, wo ich selbst der Kader war, einem anderen „Genossen“ dasselbe antat, was mir angetan worden war -- ich brauchte keine Hilfe dafür, ich wurde allein mit ihm fertig und machte ihn lächerlich nach Strich und Faden. Von einer Marokko-Reise zurückgekehrt spaltete ich nach diesem Erlebnis mit einem anderen Kritiker zusammen den „KHB“ auf, weit mehr als die Hälfte verließen ihn, und er dümpelte bis zu seiner Auflösung nur noch vor sich hin.

Und doch war ich jetzt heimatlos geworden in mehrerer Hinsicht. Obwohl ich eine liebe Freundin hatte in der WG, ging ich weiter zu Huren, lieh mir das Geld dazu sogar noch von ihr, um es später durch Fabrikarbeit zu verdienen und zurück zu bezahlen, es war wie eine Sucht. Und erst lange danach konnte ich verstehen, was mir der Wiederholungs-Zwang auferlegt hatte. Es war das Ausgeliefert-Sein an eine Fremde, die zur Begrüßung meinen Fallos umfasste und meine Hoden zwischen ihren Fingern hin und her rollen ließ, bevor das Spiel weiter ging. In den ersten Jahren waren meine Besuche bei den Huren immer mit dem größten Erschauern und Entsetzen verbunden, mit einer schrecklichen Angst, die meinen Herzschlag aufpeitschte, und ich war jedesmal wie in Trance. Durch die Wiederholung der Misshandlung, welche mir die Irma schon als Säugling zukommen ließ, suchte ich nach einem Weg, das Abgespaltene zu erlösen und die Ängste zu mildern. Ich habe dieses Ziel nach der Scheidung in meinen 40er Jahren tatsächlich erreicht, wobei mir die tief greifende Veränderung auf dem Markt der käuflichen Liebe sehr entgegen kam. Im Zuge der Frauen-Bewegung hatten sich auch Huren zu Worte gemeldet, und zwar gegen die Vorstellung der „Emanzen“, indem sie nämlich das Vorurteil, jede Hure sei das Opfer eines männlichen Übeltäters, zerstreuten und offen zugaben, dass sie ihren Job freiwillig und gerne ausübten, und nur an solche habe ich mich gehalten. Infolge der langsam wachsenden gesellschaftlichen Anerkennung dieser Position wurden auch die Zuhälter überflüssig, und die Frauen begannen, in eigener Regie, kleine Bordelle zu betreiben oder sich einzeln als freischaffende Huren Appartements außerhalb der Sperrgebiete zu mieten und über Zeitungs-Annoncen Kunden zu aquirieren. Bei diesen Huren habe ich es im Laufe der Jahre gelernt, bevor ich in sie eindringe, sie wunderschön am ganzen Leib zu massieren und sie dann an ihrer feinsten Stelle zu lecken, bis sie stöhnen vor wonnger Lust und manchmal sogar mehrere Orgasmen erleben. Mein Motiv dabei ist: eine befriedigte Frau wird mich nicht bedrohen, und wenn die Irma damals so befriedigt worden wäre wie jetzt diese Frauen, hätte sie nicht die Idee gehabt, auf so ruchlose Weise ihre Hand an einen Säugling zu legen. Aber bis ich soweit war, musste noch vieles geschehen, und ich bin ein wenig voraus geeilt.

 

Mein unruhiges Blut, das ich den Zigeunern und Juden zuschreibe, die ein Teil von mir sind, hatte mich von Hamburg nach Heidelberg umsiedeln lassen, wo ich zum wiederholten Mal vollkommen fremd war. Das erste Jahr brachte mich schier um den Verstand, weil ich so total isoliert war und ausserdem noch einen Masturbationszwang entwickelte. Ich traute mich schon fast nicht mehr in meine Bude, denn kaum war ich dort, fiel ich über mich her und behandelte mich selbst mehr gewaltsam als zart. Wiederum mit der Hilfe von Huren konnte ich mich daraus befreien, und von der Zeit an entfaltete sich meine Lust am Cunnilingus bis zur Meisterschaft, nach dem übereinstimmenden Zeugnis all der Frauen, die es zuließen, und manche sagten sogar, dass sie eigentlich mich bezahelen müssten. Aber so viel ich den Huren verdankte, vermisste ich doch eine Gefährtin, die mir bis nach dem Examen versagt blieb. In „Highdelberg“, wie es damals geschrieben wurde, war ich zweimal als Insasse in der psychiatrischen Klinik, wurde aber jedesmal am anderen Tag wieder entlassen; es waren LSD-Trips gewesen, bei denen ich die Kontrolle verlor. Beim ersten hielt ich mich für ein Weib und schloss mich einem Araber an, von dem ich glaubte, er gehe jetzt zum Abendmahl Jesu Christi – und zwar nicht zu einer Nachahmung desselben, sondern zu dem echten von vor 2000 Jahren, zu dem er einen Zugang besaß, und ich flehte ihn an, mich mitzunehmen. Beim zweiten sah ich apokalyptische Ungeheuer vom Westen am Himmel anstürmend und glaubte, jetzt sei der Untergang da und es käme bloß noch darauf an, ein paar Gleichgesinnte zu finden. Von den angesprochenen Passanten schlug mir der dritte mit der Faust ins Gesicht und ich war blutüberströmt. Zahllose LSD-Trips habe ich aber zum Glück ohne Aufsehen zu erregen genommen (und einmal auch Mescalin), obwohl sie nicht weniger eindrucksvoll und nachhaltig wirkten. Ich war zum Beispiel im „Garten Gethsemane“ mit dabei, und das war schier unerträglich, ein anderes Mal erlebte ich meinen Tod und einmal sogar meine Zeugung. Des öfteren war ich kein Mensch mehr und zog es vor, ein Lebewesen zu sein wie ein Insekt oder ein Fisch.

1973 hatte ich mich zu einer Examensgruppe gemeldet, trat aber dann wieder zurück, weil ich das Gefühl hatte, niemals Arzt werden zu können. Ich schrieb meinem Vater einen entsprechenden Brief, und diesmal hatte er eine passende Antwort: ich könnte ja nach dem abgeschlossenen Studium machen was ich nur wollte, aber ein Examen würde mir ein besseres Gefühl geben als der Verdacht, ein Versager zu sein. Ich handelte ein Semester Verlängerung mit ihm aus, da ich wegen anderer Aktivitäten große Lücken im Wissensstoff hatte, und ich nahm mir die Zeit, in Neckargemünd, an einem lieblichen Ort, den gesamten Studienstoff von der Vorklinik an noch einmal für mich durchzunehmen, und zwar geordnet nach den Gebieten: so die Anatomie und Histologie noch einmal vor der Pathologie, und die Physiologie und Biochemie vor den Krankheitslehren der Inneren Medizin und der Kinder- und Frauenheilkunde sowie der Farmakologie. Ich erwarb mir einen ausgezeichneten Durchblick, der mich nachher umso kritischer machte gegen die „Schulmedizin“.

Nach bestandenem Staatsexamen wollte ich einen alten Traum wahr werden lassen und nach Afrika gehen. Mit 14 hatte ich ein Tanztheater aus Guinea gesehen, die Frauen damals alle mit nackten und hüpfenden Brüsten, und eine gewaltige Truppe spielte unter den Donnerschlägen der Trommeln tanzend und singend das Liebesdrama eines jungen Mannes und einer jungen Frau, die sich zueinander hingezogen fühlen, denen aber die Dämonen in schrecklichsten Masken den Weg zu verbauen versuchen. Hier fand ich alles  wieder, was meine Seele bewegte, fühlte mich heimatlich geborgen wie niemals in Europa und beschloss, einmal dorthin zu fahren. Um Geld zu verdienen, ging ich nach Düsseldorf Nachtwachen Machen, mit dem Nebengedanken, eine Chaotengruppe, die ich in Heidelberg bei ihrem Gastspiel kennengelernt hatte, in ihrem Landsitz bei Krefeld zu besuchen. In Düsseldorf verdiente ich gut und eine Katzenliebhaberin gewährte mir ihre Gunst, doch als ich dann die Landkommune besuchte, befand sie sich in der Auflösung. Ich blieb allein dort mit einem Hund und studierte die Aufzeichnungen des wilden Lebens von „Kacko“ mit seinen zwei Frauen Renate und Maria. In die Renate war ich in Heidelberg schon verliebt, aber ich kam nicht an sie heran, sie war war verschwunden. Dagegen besuchte mich die Maria eines Abends in der zerfallenden Klause, ganz wie eine Mönchin, mit langem Gewand und geschorenem Schädel. Anderen Tages fuhr ich nach Krefeld zu ihr und bat um ein Bad, bei welcher Gelegenheit es passierte. Sie wohnte dort mit einem Beamten zusammen, der sie kampflos aufgab, als ich beschloss, sie zu retten. Sie war nämlich von Kacko dazu überredet worden, eine Erklärung zu unterschreiben des Inhalts, sie sei nicht zurechnungsfähig, wodurch er irgendeineer Anklage entwischen wollte. Sie war die „Drogen-Mutti“ von Krefeld und versorgte als gelernte Apothekenhelferin die Szene mit allem Gewünschten. Sehr früh war sie aus ihrem Elternhaus geflohen, wo sie jahrelang und schon als Kind so wie auch ihre Schwester vom eigenen Vater missbraucht worden ist, was ich aber erst nach unserer Trennung erfuhr. Weil sie mir sagte, sie sei unfruchtbar, das hätte ihr der Gynäkologe versichert und ich nie ein Kind wollte, sie aber so empfand wie „Mamma Afrika“, zog ich mt ihr nach Urspring im Landkreis Forchheim, wo sie prompt schwanger wurde. Das Geld für den Umzug zu leihen, hat mein Vater mir abgeschlagen, ich musste es mir von einem Studien-Kollegen in Hamburg besorgen. Meine erste Stelle als Medizinal-Assistent habe ich angetreten im Kreiskrankenhaus Forchheim auf der Inneren Abteilung, wo mich der telefonische Anruf vom Tod meines Vaters ereichte. Der zuständige Internist war derselbe, der mich seinerzeit nicht aus der Entgiftungsstation entlassen und mir jetzt als Todesursache eine Lungenembolie verkaufen wollte; und als ch ihn darauf hinwies, dass eine solche zehn Tage postoperativ nicht mehr auftritt, warf er mich hinaus. Er hatte die innere Blutung vermutlich übersehen, weil er von dem Geschwürsleiden meines Vatersnichts wusste.

Meine Eltern hatten die Maria von Anfang an abgelehnt und reagierten schockiert, wie ich solch eine Proletin (ihr Vater war Maurer) abschleppen konnte. Noch bei meiner letzten Begegnung mit meinem immer blasser gewordenen Vater hielt er mir vor, wie ich die Mutter kränkte mit meinem Aussehen – ich hatte eine Zimmermanns-Hose an, die sauber war und mir sehr gut gefiel, und mir war klar, dass diese Hose ihm und seiner Gattin nur das Symbol war für mein Absinken in die Unterschicht, in die Gosse. sie hatten doch wenigstens eine heile Familie vorzuspielen vermocht. Als Leiche sah mein Vater, den man vergeblich zu intubieren versucht hatte, aus wie eine alte Squaw der Indianer.

Die Geburt meiner und der Maria Tochter Nora am 5. Juli 1975 verlief nicht so wie geplant. Eine Hausgeburt hätte es werden sollen, doch wurde es ein Kaiserschnitt im Krankenhaus von Pegnitz. Die Fruchtblase war geplatzt, ohne dass innert dreier Tage die Wehen einsetzten, und unter dem Wehentropf sanken die Herztöne des Kindes ab, weil die Nabelschnur sich mehrfach um den Hals geschlungen hatte. Der Chefarzt wurde später wegen Alkoholismus und gravierender Behandlungsfehler entlassen, die Maria spürte seinen üblen Geist schon zuvor und bat mich dringend, die Tochter da herauszuholen. Ich nahm es mit nach Hause, pflegte es die ersten Tage und habe seither eine sehr innige Bindung zu ihr. Doch unser weiteres Zusammenleben gestaltete sich nicht sehr günstig, das Kind schrie nächtelang, und die Maria begann, zuerst subtil und später deutlich, es zu verwenden als Instrument, um ihren Willen durchzusetzen mir gegenüber. Nach dem Tod meines Vaters verfügte ich über eine Schenkung von 6000 Mark, und so viel Geld hatte ich niemals zuvor. Anfang 1976 ließ ich der Maria genug Geld zurück und fuhr über Italien nach Tunesien und Algerien in die Wüste Sahara und bis nach Niamey, der Hauptstadt von Niger an dem gleichnamigen Fluss. Ich hatte bis Kamerun kommen wollen, doch ich träumte fast jede Nacht von meiner Tochter und kehrte schließlich vorzeitig zurück. Wie sich heraus stellte hatte die Maria ihr Geld an einen Betrüger verloren und war in der Klemme, sodass ich rechtzeitig kam. In ihrem Großmut hatte sie mir angeboten, die Vaterschaft offiziell mit einem Fragezeichen zu beantworten. Dass sie Geld vom Sozial-Amt bezog, verriet sie mir nicht, das erfuhr ich erst als ich mich nach meiner Rückkehr von der Afrikareise als Vater bekannte und eine rückwrkende Zahlungsaufforderung vom Sozialamt bekam.

Ich versuchte ein Zusammenleben mit der Chrisra als kleine Familie, doch als sie das Kind vor meinen Augen bestrafte, wenn ich ihrem Willen nicht nachkam, machte ich Schluss, hatte aber dennoch ein sehr schlechtes Gewissen bei unserer Trennung – zumal sie bald darauf einen Handwerker heiratete, der Mitglied bei den sog. „Rosenkreuzern“ war, und ihm zuliebe mit unserem Kind in diese Sekte eintrat.

In Rehau hatte ich im Krankenhaus eine Koreanerin kennengelernt, die dort als Schwesternhelferin gearbeitet hat und sofort in ihre Heimat abgeschoben worden wäre, wenn sie nicht weiterhin die niedrigsten Dienste verrichtet hätte. Sie bezauberte mich, und weil sie in Deutschland bleiben wollte, heiratete ich sie. Ich wusste, dass ich zum Gatten nicht taugte, was ich ihr auch sagte, und am Tag nach unserer „Hochzeit“ fuhr ich demonstrativ ein paar Tage zu meinen Verwandten nach Dresden, wohin sie mit ihrem südkoreanischen Pass nicht mitreisen konnte. Zwei Monate später verließ ich sie wieder und reiste nach Schottland, um von da aus über Island und Grönland nach Amerika zu kommen. Sie war inzwischen zu ihrer Mutter gefahren, ihr Vater war im Sommer 1976 verstorben an einer parasitären Lebererkrankung, die er sich im Korea-Krieg zugezogen hatte – und kurz nach seinem Tod hatten wir uns kennen gelernt. Sie hatte nie um ihren Vater getrauert, war dafür aber von Zeit zu Zeit in furchtbar schwarzen Löchern versunken, wo sie nicht mehr ansprechbar war; und erst viel später wurde mir der Zusammenhang klar. Sie war die heimliche Geliebte ihres Vaters gewesen, seine Favoritin oder Ersatzpartnerin. Ihre Eltern waren miteinander verheiratet worden, ohne sich gesehen zu haben, und wünschten sich als Erstgeburt einen kräftigen Sohn, doch es kam nur ein Schwächling heraus. In der zweiten Schwangerschaft hielt die Mutter strenge Gelübde und Nahrungsgebote ein und gebar tatsächlich ein prächtiges Kind, nur leider war es ein Mädchen, das der Vater zehn Tage nicht anschauen wollte. Zehn Jahre dauerte es nach der Geburt dieser meiner späteren Frau, bis ihr Wunsch erfüllt wurde und sie als drittes Kind einen kräftigen Knaben bekamen, der aber in seiner Pubertät so gestört war, dass er glaubte, sein Körper stänke auch wenn er sich wusch. Eine weitere Parallele zu meine zu meinem Fall besteht darin, dass die Sung-Ae (auf deutsch „Höhere Liebe“) das schönste Mädchen in ihrer Kleinstadt und im ganzen Umkreis war wie meine Mutter. Das falsche Geschlecht, der subtile Missbrauch und ihr Unglück, das sie schon mit 16  aus ihrem Elternhaus vertrieben hatte, machten sie für mich unwiderstehlich. In Seoul, der Hauptstadt, hatte sie Schiffbruch erlitten  und musste beschämt heimkehren(wie seiner Zeit auch mein Vater, und mit 20 war sie nach Deutschland gekommen.

Der Preis für ihre nicht bewusste und nicht  ausgelebte Wut und den Hass auf ihre Eltern, der sch auf ihr ganzes Heimatland ausgedehnt hatte, bezahlte sie wie gesagt mit Zuständen, die extrem fürchterlich waren. Sie geriet dann außer sich und verfiel in ein dunkel drohendes Murmeln, Zischen und Schreien, es dauerte Stunden bis sie sich wieder beruhigte, und auch gemeinsame Freunde verschwendeten ihre Mühen, sie zu besänftigen ohne Erfolg.

Ich hatte im nördlichsten Hafen von Schottland, von wo das Schiff nach Island abfuhr, in einem China-Restaurant gegessen und wurde beim Anblick der Bedienung von so heftiger Sehnsucht übermannt, dass ich non-stop durch Tage und Nächte mit dem Auto zurückfuhr und dann mit dem Flugzeug nach Korea. Wäre ich etwas später gekommen, dann hätte sie womöglich einen ihrer neuen Verehrer genommen, aber so kam sie doch wieder mit mir nach Deutschland. In Eichstätt, wo ich als Assistenzarzt längere Zeit war, wurden ihre Zustände, weil sie nichts zu tun hatte, so schlimm, dass ich Angst um ihren Verstand bekommen musste. Meinen Vorschlag, eine Ausbildung zur Schamanin in Korea zu  machen, nahm sie leider nicht an, und so blieb nur eine Ausbildung zur Masseurin und Bademeisterin auf einer Privatschule in Berlin. Während der Zeit war ich furchtbar eifersüchtig, denn sie hatte mich im Verlaufe der Jahre durch raffinierte Verwöhnung in einen zahmen Gatten verwandelt, der sich Sex mit einer anderen als mit ihr nicht mehr vorstellen konnte. Aber das war nur der äussere Firnis, denn es brodelte bereits gewaltig hinter der Fassade, worin wir uns 12 Jahre hielten und eine gemeinsamen Praxis in Ausgsburg betrieben in einem Jugendstilhaus mit hohen Räumen und Stuck an den Wänden -- ich als Arzt für Allgemeinmedizin, Homöopathie und Naturheilverfahren, sie als Masseurin aus Asien, ich neben den Privatpatienten auch über alle Kassen abrechnend, sie nur privat. In meinen Träumen ging es wild her, ich liebte mehr als nur eine und sah meine Gattin auch mit anderen ficken, wollüstig und über mich triumfierend. Wenn ich ihr etwas von meinen Fantasien andeuten wollte, stauchte sie mich mitleidlos und so heftig zusammen, dass ich für eine Weile die Lust am Fantasieren verlor.

Als die Schulden von etwa 200.000 Mark abgetragen waren, wollte ich mich von meinem beruflichen Stress unbedingt etwas entlasten, denn der Dichter in mir hatte sich tatsächlich wieder gemeldet. Ich hatte vor, im Herbst 1990 nach einer Reise alleine (die erste nach den in den Vorjahren vielen Reisen zusammen mit ihr) eine Praxisgemeinschaft zu gründen. Dazu musste aber die Sung-Ae aus dem schönsten Zimmer, das ich ihr zur Verfügung gestellt hatte, heraus, und während ich in Norwegen war, renovierte sie ihre neue Praxis zusammen mit einem Mann, den ich mit Hilfe von Sulfur von seinem Morbus Crohn befreit hatte – auch seine Frau, seine Tochter und seine Eltern waren bei mir in Behandlung. In Kirkenes an der Grenze zur Sowjetunion merkte ich etwas, doch ich reagierte nicht darauf wie damals in Schottland, weil ich gerade auf ein heisses Thema gestoßen war, nämlich auf die Kastration, die Angst davor und wie sie zu meistern sei. Ich fuhr dann gemächlich über Finnland und Schweden zurück, machte in Kopenhagen bei meiner Ex-Schwägerin Station und sah zum ersten Mal meine inzwischen 15-jährige Nichte, die Tochter meines Bruders, die dieser noch nie gesehen hatte; seine Ex-Frau hatte sie von ihm in der Trennungsfase empfangen, und er war der Meinung, sie habe ihn hereinlegen wollen, obwohl sie ihn nicht als Vater angab und keinen Pfennig verlangte. Das Kind wurde vom zweiten Mann ihrer Mutter adoptiert, hatte noch eine Halbschwester bekommen, und nach der Scheidung von ihrem zweiten Mann lebte meine Ex-Schwägerin mit ihren beiden Töchtern zusammen. Ich hatte jede Woche einmal mit meiner Angetrauten telefoniert und ihr auch mitgeteilt, dass ich bei meinem Bruder ein paar Tage zu bleiben gedächte, doch er reagierte derart gereizt auf meinen Besuch, dass er mich am zweiten Tag anschrie mit den Worten „Dann geh doch zu deiner Mutter!“ – was ich absurd fand, denn erstens ist es auch seine Mutter und zweitens hatte ich gar nicht vor, sie zu besuchen. Als ich der Sung-Ae mein vorzeitiges Kommen meldete, erkannte ich an ihrer Reaktion, dass sie mit einem anderen Mann zusammen war. Doch wer das war, wollte sie mir nicht sagen. Ich erriet es erst nachdem ich zum ersten und einzigen Mal bei einer „Analpraktikerin“ war, die auch eine Foterkammer betrieb. Auf einem gynäkologischen Stuhl verpasste sie mir einen Einlauf, und nach der Entleerung meines Darmes bot sie mir eine Katheterisierung der Blase an, was ich dankend ablehnte; und zum Schluss hat sie mein Glied mit ihren in Gummihandschuhen gehüllten Fingern bis zum Abspritzen gewichst.

Jetzt wusste ich, wer der neue Liebhaber war meiner Gattin, und es schauderte mich. Sie präsentierte sich mir in der Folgezeit völlig abweisend und unzugänglich, während seine empörte Gattin zu mir in die Sprechstunde kam und lamentierte. Ich konnte sie nur mit der Aussicht beruhigen, dass dieses Verhältnis nicht lange dauern würde, mir selbst aber war klar, dass ich weg musste. Ich führte die Praxis noch bis Juni 1991 und gab sie dann ab zu einem Spottpreis aus Rache dafür, dass meine Noch-Gattin auf keinen Vorschlag zur Güte einging. Sie hatte „Prozesskostenhilfe“ beantragt und bewilligt bekommen, und ich musste die Gerichtskosten sowie ihren und meinen Anwalt bezahlen. Sie hatte heimlich an die 100.000 Mark beiseite geschafft, was ich erst nach der Scheidung bemerkte, und ich musste ihr noch damit drohen, dass sie mir Unterhalt zu zahlen hätte, wenn wir uns auf keinen gegenseitigen Verzicht einigen würden. Danach war ich mehr als ein Jahr arbeitsunfähig, ein ehemaliger Einödhof in Altbayern ohne elektrischen Strom und nur mit einem Pumpbrunnen vor dem Haus nahm mich auf und ersparte mir den Aufenthalt in einer Klinik.

Das Schlimmste war nicht das Ende der Ehe als solches, sondern die entschiedene Abwertung meiner Person durch die Ex-Frau. Ich kam mir vor wie ein Scheusal und rief aus Verzweiflung sämtliche Frauen an, die ich kannte von früher und deren Telefonnummern ich noch hatte, um von ihnen zu hören, das ich kein solches war. Unter ihnen befand sich auch die inzwischen 5ß-jährige Irmin, die das als Erfüllung des Versprechens ihres Psychiaters, auffasste, ich käme eines Tages wieder zu ihr zurück. Sie war noch immer der Meinung, wir seien vom Schicksal füreinander bestimmt, und als ich sie in ihrer Nürnberger Wohnung besuchte – meine Mutter war zu der Zeit schon krebskrank – da empfing sie mich im Negligé und wollte mich küssen – mir aber war nicht danach.

Warum bin ich nicht in eine psychosomatische Klinik gegangen? In meiner Augsburger Zeit habe ich berufsbegleitend eine Zusatzausbildung gemacht in der „tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie“, zu welchem Zweck ich öfters nach München fuhr. Dabei geriet ich wiederum in das Fahrwasser meines Bruders, der es inzwischen zum Lehranalytiker in der Nachfolge von Siegmund Freud gebracht hatte. Die Psychoanalyse  stand in dem Münchner Institut in höchstem Rang, und die sog. „Zusatztitler“ wurden verachtet. Ich machte 72 Doppelstunden „Lehranalyse“ bei einer fast blinden Frau, die ihr Augenlicht bei einem Unfall mit ihrem Vater verloren hatte. Im Verlauf dieser „Analyse“ bemerkte ich auf der Couch liegend mehrmals, dass ihr Atem hinter mir wie der Atem einer Schlafenden wurde und sie sich gleichsam in Trance gleiten ließ, um in meine Aura zu dringen und sie in sich aufzusaugen. Im Traum kam eine Tigerin von hinten auf mich zu und umarmte mich mit gezückten Krallen, mit denen sie mich jederzeit zu zerreissen drohten, was mich in höchste Panik versetzte. Ich legte mich danach nicht mehr auf die Couch, sondern setzte mich darauf und behielt die Blinde im Auge. Wenig später beendete ich die „Therapie“, deren Dynamik nicht aufgedeckt wurde, auch aus theoretischen Gründen. Den Grund für die Abkehr des Siegmund Freud von der Traumatisierung der Kinder durch die Erwachsenen und seine Konstruktion des „Ödipus-Komplexes“ konnte ich zwar nachvollziehen, aber nicht billigen. Und mir fiel ein Traum wieder ein, den ich als Jüngling geträumt hatte: mein Vater führte mir seine Gattin, meine eigene Mutter, als Braut zu und sagte, es sei nun meine Pflicht, den Geschlechtsakt mit ihr zu vollziehen, anderenfalls ich aus der Gemeinschaft verstoßen würde. Ich versagte kläglich zweimal, seine Drohung erfüllte sich, und ich schied auch aus der fiktiven Gemeinschaft der Analytiker aus – eine vierte Gehirnwäsche nach der der Methodisten, Lutheraner und Kommunisten wollte ich mir nicht mehr antun.(Auch in der vorgeschriebenen „Selbsterfahrungsgruppe“ war ich ein Aussenseiter und wurde von der Leiterin wie einst von der Oberschwester Martha mit einer Mischung aus Bedauern und Mussbilligung betrachtet.)

Ich erkannte die monogame Ehe als Erfüllung der Geschichte des Ödipus und die Gattin als Abbild der Mutter (besonders anschaulich führte mein Bruder selbst es in seiner zweiten Ehe mir vor), und mit einer Therapie, deren Vertreter die Heilung mit der Bindungsfähigkeit an einen einzigen Partner gleichsetzen, konnte ich hinfort nichts mehr anfangen. So musste ich mich alleine durchkämpfen, und was mir zum Überleben half, das waren fünf Dinge: Der Rotwein, der sich in meiner Augsburger Praxis zuhauf fand (Geschenke der Patienten auf Rat meiner Ex-Frau) und den ich trank, um schlafen zu können; eine schlimme Schlafstörung hatte sich meiner bemächtigt, die Zwangsvorstellung, wie sich mein Ex-Patient mit meiner Ex-Gattin vereinigen wollte und ich ihm den Nervus pudendus durchschnitt, um ihn daran zu hindern, hatte ich anders nicht loswerden können, und seither trinke ich regelmäßig Rotwein, einen dreiviertel Liter am Abend -- als zweites die Huren, mit denen ich immer vertrauter wurde, und als drittes meine Reisen in arme Länder, wo ich mehr Herzlichkeit fand als hierzulande; als viertes die homöopathischen Mittel, die ich mir von Zeit zu Zeit verordnete und last but not least das Studium der altgriechischen und althebräischen Sprache, das mich in den Stand versetzt hat, die Bibel im Original zu lesen, und das nich aufgrund der Vielschichtigkeit der Texte jeglichem Dogmatismus abhold gemacht hat. Noch während meiner Ehe hatte ich damit begonnen, und die Sung-Ae sagte anklagend, meine Geliebte sei die Bibel, womit sie so unrecht nicht hatte. Auf der Reise nach Norden 1990 begann ich mit dem Schreiben über die von der „Heiligen Schrift“ angeregten Dinge, und in dem „Sabbath-Jahr“ in Altbayern tauchte ich noch tiefer hinab. Ich konnte mich dabei selber fast völlig vergessen und war doch gleichzeitig aufs Höchste präsent, was einen heilenden Effekt auf mich hatte.

 

Im Sommer 1992 landete ich schließlich in Ansbach, um dort meine Ein-Mann-Praxis für Psychotherapie und Homöopathie zu eröffnen. Im Jahr darauf verstarb meine Mutter, ironischerweise in dem Krankenhaus Martha-Maria, das neben dem ehemaligen Kinder- und Wisenhaus erbaut worden war (dieses war zu einem Schwesternwohnheim umfunktioniert worden).

Vor ihrem Tode wollte sie sich mit ihrem ersten Sohn, meinem Bruder, alleine treffen, um das Finanzielle zu regeln, ich protestierte und verschaffte mir Zutritt zu diesem Gespräch. Weil ich mich nach dem Tode des Vaters bezüglich meines Pflichtteils erkundigt hatte, obwohl er die Mutter als Alleinerbin eingesetzt hatte, galt ich den beiden als „geldgierig“. Hier muss ich noch ergänzen, dass mein Bruder zu der Zeit, wo ich meine Augsburger Praxis aufzugeben gedachte, im Auftrag der Mutter, wie sich herausstellte, zu mir kam und mich warnte: ich sei latent schizofren und nur die Praxis gäbe mir Halt und Struktur, wenn ich sie aufgäbe, würde die Krankheit ausbrechen. Und später, als ich in Ansbach neu anfing, bezeichnete er mich als „Gefahr für die Menschheit“ und fügte hinzu, in diesem Provinzloch würde ich sicher eingehen. Nach der Totenfeier für unsere Mutter (es war keine Beerdigung, denn sie wollte verbrannt sein) sackte mein Bruder fast alles Wertvolle ein, was sich in der Wohnung der Verstorbenen befand, ich bekam nur einen alten Sessel des Vaters, aber das Geld wurde wenigstens redlich geteilt. Als herauskam, wie wenig es war, da verfluchte mein Bruder die Mutter indem er sagte, sie hätte alles verprasst -- und ich erschrak wieder vor seinem Hass.

Beim „Leichenschmaus“ war die Frau Maibaum zugegen, die alte Nachbarin aus Neusündersbühl, die inzwischen auch andersw wohnte, und ich fragte sie, ob sie von der Irma etwas gehört hätte, ich wollte sie einmal besuchen. Sie sagte, sie ließe mir eine Nachricht zukommen, und etwa ein halbes Jahr später schickte sie mir eine Totenanzeige mit dem Foto der Irma, deren Konterfei dem der Irmin so ähnlich war, dass ich zusammenzuckte, denn darauf war ich zuvor nie gekommen.

Ein gutes Jahr nach dem Tode der Mutter wurde die zweite Frau meines Bruders, die sich schon lange ein Kind gewünscht hatte, von einer Tochter entbunden, denn erst jetzt war mein Bruder bereit, zum Vater zu werden. Vor einem Besuch bei ihm 1997 fragte er mehr sich als mich am Telefon murmelnd, wie wohl seine Tochter auf mich reagieren würde, was ich befremdlich fand. Als ich dann dort war, flog sie auf mich und wollte gar nicht mehr von mir lassen, zum höchsten Verdruss meines Bruders, der mir im Lauf der Gespräche erneut vorhielt, ich sei schizofren. Ich sagte, so habe es keinen Sinn mehr, und fuhr ab. In Köln machte ich Halt und trank auf dem Domplatz einen Kaffee, als plötzlich das Stimmengewirr überlaut wurde und ich hundertstimmig nur immer das dröhnende Organ meines Bruders hörte, das auf mich eindrosch. Einige Monate später schrieb ich ihm eine Karte des Inhalts: „Dir habe ich von Anfang an nicht gepasst, und bis zuletzt hast Du versucht, meinen Geist zu zerstören; nun ist Dein Wunsch in Erfüllung gegangen, Du hast nie einen Bruder gehabt“. Auf diese Karte kam keine Antwort, und seither herrscht Schweigen zwischen uns.

Familiäre Bindungen habe ich nur noch zu meiner Tochter Nora und deren Mutter Maria. Diese war Ende der 80er Jahre schwer erkrankt, sie hatte einen hormonaktiven Tumor in der Nebenschilddrüse, was lange nicht erkannt worden ist, erst nachdem ihre Knochen schon durchlöchert waren und ihr Becken bei einer Krankengymnastik zerbrach. In dieser Krankheit erkannte sie den Wahnsinn der „Rosenkreuzer“ und trat mit der damals 12-jährigen Tochter aus dem Verein aus. Ich hatte sie schon zuvor gewarnt, aber sie wollte nicht auf mich hören. Sie hatte lange Jahre die Nora wie eine Sklavin behandelt, was auch nicht nachließ, nachdem sie von ihrem zweiten Kind, einem Sohn ihres Gatten, entbunden war. Weil ich einmal ein Fußball-Spiel im TV angesehen hatte, was das Kind der Mutter gebeichtet hat, durfte es mich Jahre lang nicht mehr besuchen. Ich und meine Frau trafen uns mit ihr in Gaststätten, um beim Zurückbringen dann den Komisston ihrer Mutter mit anzuhören. Bei einer solchen Gelegenheit sagte ich einmal, wenn sie nicht freiwillig von ihrem Thron herunterstiege, dann würde sie heruntergestoßen, was nachher auch wirklich der Fall war. Aber ihr Absturz hat ihr die Besinnung wieder gegeben, und in der Zeit ihrer Krankenhaus-Aufenthalte wurde die Nora selbständig.

In meiner Ansbacher Zeit musste ich noch dreimal das Scheitern meiner Sehnsucht nach einer Gefährtin erleben, die drei Frauen zu schildern erspare ich mir, es lief immer auf das Gleiche hinaus: Rache, Rache und abermals Rache an dem angeblich Geliebten für die Wunden der Kindheit, für den Missbrauch des Geschlechts und für die Unterdrückung der eigenen Natur in der Prägung durch das Patriarchat Ich litt unsäglich, denn ihre offen oder subtil geführten Hiebe waren immer treffsicher, und langsam begriff ich, was sich da für mich wiederholte: das Hinterherlaufen nach einer Liebe, die keine ist und die nicht gegeben wird, weil nicht bloß die Liebenden, sondern schon deren Eltern als Kinder missbraucht worden sind. Neben meinem Bibelstudium betrieb ich das der Geschichte, mit besonderem Augenmerk auf die der Ehe auch im interkulturellen Vergleich. Und ich kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass die monogame Ehe des „Abendlandes“ eine Monstrosität ist, eine Brutstätte von Inzest und Kindesmisshandlung. Der erste Gipfel dieses Horrorszenariums wurde im 12. und 13. Jahrhundert erklommen, wie ich in meinem Werk „Kaspar Hauser, der Menschen-Versuch“ nachweisen konnte. In allen meinen Patienten sah ich nun die geschundenen Kinder, den von seinen eigenen Eltern geschwächten und nicht -- wie es von der Natur vorgesehen ist -- gestärkten Nachwuchs. So es zurückzuverfolgen ist, lässt sich das Thema der Traumatisierung der Kinder auch bei ihren Eltern und Großeltern finden, und ich bin zu dem Schlusse gekommen, dass es inzwischen global verbreitet ist wie eine Seuche, mit der sich die Menschheit schwächt und krank macht, weil sie sich zu sehr vermehrt hat. Alle Perversionen befolgen ein Naturgesetz, dem auch die Ratten gehorchen, wenn man sie auf eieinem zu engen Gelände einzwängt. Sie werden homosexuell und steril, und wenn sie doch einmal Junge werfen, stoßen sie sie von sich weg oder fressen sie auf.

So sehr haben sich meine Ansichten radikalisiert in den letzten Jahren, dass ich fast keinen Gesprächspartner mehr finde. Allen geht das zu weit, schließlich wollen sie überleben und den Abgrund nicht sehen, in den dieses unser System in vollem Karacho hineinfährt. Nur noch zwei bis drei Menschen gibt es für mich heute noch in dieser Stadt, mit denen ich frei sprechen kann, die anderen haben sich mehr oder weniger offen von mir abgewandt. Schuld daran war ich selber, denn ich habe die Flucht nach vorne ergriffen, ich machte den Schritt in die Öffentlichkeit. Einen Hang dazu habe ich seit dem Theaterspielen in der Schulzeit in mir behalten, und zum Abschied meiner Augsburger Zeit trat ich auf mit Oden von Hölderlin, die ich in den Wochen zuvor auswendig gelernt und im Freien deklamiert hatte. In Ansbach kamen Elegien und die „Vaterländische Gesänge“ hinzu, und schon nach meinem ersten Auftritt erhielt ich eine sehr gute Kritik in der Zeitung. Ich wurde auch interviewt und mit Foto sehr wohlwollend vorgestellt bis zu meinem letzten Hölderlin-Abend „Patmos“. Dreimal spielte ich auch mit beim „Tau-Theater“, zum Schluss mit dem Regisseur selber in der letzten Fassung des „Empedokles“, wobei sich die Kritik mit Lob für mich fast überschlug.

Das änderte sich schlagartig, nachdem ich mit der Reihe „Die Hure in der Bibel“ auftrat. Das war  1996, und seither wurde ich bei allen meinen weiteren Auftritten vollkommen ignoriert. Als ich einen Kurs für Althebräisch in der Volkshochschule anbieten wollte, stieß ich zuerst auf Interesse, bekam aber später zu hören, die Art, wie ich mit der Bibel umginge, stünde ja wohl „ausserhalb von jedem gesellschaftlichen Konsens“. Ich fragte, woher sie, die Chefin, das wüsste, sie sei ja gar nicht da gewesen, rutschte ihr etwas von Informanten heraus, und als ich nach Namen fragte und sagte, nach jedem meiner Abende habe es offene Aussprachen gegeben und niemand habe mich in diesem Sinn angegriffen, wich sie aus und berief sich auf ihre Entscheidungsbefugnis, als Kursleiter käme ich nicht in Frage.

Auch meine weiteren Veranstaltungen wurden ignoriert, und bis zum Jahr 2002 nahm ich das hin, dann aber ergriff mich das Findelkind Kaspar Hauser so sehr, dass ich die Wahrheit aufdecken musste: er war das Opfer eines perfiden Menschen-Versuches, der nicht nur in der Zeit seiner Isolation betrieben wurde, sondern auch die fünf Jahre in Nürnberg und Ansbach hindurch, und zwar von seinen „Wohltätern“ Feuerbach, Tucher und Fuhrmann zusammen mitseinen „Feinden“ Stanhope und Meyer -- bis er so verwirrt war, dass er zuletzt seinem Killer noch nachlief. Ich hatte das Glück, dass der Chef der Kulturredaktion in Urlaub war und mir sein Stellvertreter auf meine Bitte hin ein Gespräch gewährte und meine Lesung sehr spannend ankündigte, ich würde Beweise für meine These vorgebringen, ließ er wissen. Es kamen ziemlich viel Leute, und trotzdem gab es keine Besprechung, auch keine für mein Druckwerk, das ich im Herbst herausbrachte. Der Redakteur erklärte mir, mit dem erschienen Artikel habe die Zeitung ihre Pflicht schon getan, und auf meine Vorhaltung, eine Ankündigung ohne Besprechung habe es noch niemals gegeben, ging er nicht ein.

So musste ich mir etwas einfallen lassen, denn jetzt kämpfte ich nicht mehr nur für mich allein. Ich fasste den Entschluss, die Lesung noch einmal zu machen, und zwar in den „Kammerspielen“, deren Veranstaltungen alle besprochen werden, denn ich dachte bei mir: jetzt erwische ich euch, entweder stellt ihr euch bloß durch Ignoranz oder ihr müsst mich besprechen. Nicht lange nachdem ich die Genehmigung hatte für die Lesung am 20. Mai 2003, rief der Kulturredakteur bei mir an und sagte scheinheilig, er habe mich nicht vergessen. Er schrieb tatsächlich einen genialen Verriss meines Büchleins und fällte abschließend das Urteil, ich gehörte ins „Kuriositäten-Kabinett“. Der Verriss der Lesung war noch stärkerer Tobak, eine Dame, die es verschmäht hatte, sich mit mir bekannt zu machen, steigerte sich bis zu der Behauptung, ich sei manisch und betriebe theologische Gehirnwäsche – was ein Angriff auf meine berufliche Existenz war, denn wer wollte zu einem „Gehirnwäscher“ in Therapie gehen?

Zuvor hatte ich bei den Verantwortlichen der Stadt vergeblich versucht, eine Bitte erfüllt zu bekommen, nämlich die Gemälde und Zeichnungen des Findelkindes, die im Archiv gelagert sind, öffentlich auszustellen. Der Leiter des Museums und des Archivs, en gewisser Herr Bürger, lehnte das ab mit der Begründung, das sei keine Kunst; und auf meine Antwort, selbst wenn es keine Kunst wäre, so zeige es doch etwas vom Wesen des Kaspar Hauser und müsse schon allein darum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, reagierte er wieder ablehnend, jetzt mit der nachweislich falschen Behauptung, eine Ausstellung würde den Bildern schaden. Auch ein Gespräch mit dem Leiter des Amtes für Kultur und Touristik, einem gewissen Herrn Blank brachte nichts, trotz meines Hinweises, dass Leute von weither nach Ansbach kämen, um die Werke zu sehen.

Der Höhepunkt der Kampagne wurde im Herbst des vergangenen Jahres erreicht, diese Sache ist dokumentiert auf meiner „Web-Site“ (www.axel-nitzschke.de) unter dem Titel „Zur Jubstdebatte in Ansbach. Welche Flut von Schmähungen und Verleumdungen in der Presse sich über mich ausgoss, ist dort im Einzelnen nachzulesen. Ich wurde zur Unperson, zum Nazi, zum religiösen Fanatiker, ja zum Geisteskranken erklärt, und das brachte sehr viele Menschen, auch solche die mich gar kannten, gegen mich auf. Die Frau, die seit 1993 die Ladenwerkstatt in meinem Haus gemietet hat und mit der ich immer bestens auskam, brach auf einmal unseren Vertrag, indem sie sagte, ich solle die Bücher aus ihrem Laden entfernen, sie würde deswegen andauernd von den Leuten genervt. Wir hatten vereinbart, dass ich gegen eine niedrige Miete ein Regal zum Verkauf von Büchern benotzen durfte, womit nunmehr Schluss war. Zu meinem Kurs „Vergessene Frauen der Bibel“ in den Kammerspielen, den ich drei Winter mit gutem Erfolg gegeben hatte, meldete sich nur noch eine einzige Frau, weshalb er ausfallen musste. Und das alles zusammen ist der Grund, warum ich an diesem Ort nicht mehr bleiben kann, ich würde hier elend verrecken.

Es sind noch zwei andere Sachen passiert, die in mir den Entschluss reifen ließen, Ansbach zu verlassen, und vielleicht gar Europa. In den islamischen Ländern wissen die Leute noch, was der Zins ist, denn dieser ist im Koran wie in der Bibel verboten, aber hier schauen mich die Leute an als sei ich blöde, wenn ich davon rede. Die eine Sache ist die, dass ich einen Prozess gegen die „Kassenärztliche Vereinigung Bayerns“ führen wollte, meine Klage aber zweimal abgewiesen wurde. Auch dies ist unter der oben angegebenen Adresse nachzulesen, und ich beschränke mich hier darauf, zu sagen: die Normierung der gesamten Medizin, inclusive der Psychotherapie mit den Methoden der „Qualitätssicherung“, die aus der industriellen Produktion von Massenartikeln stammt und der „Effizienzsteigerung“ dient, widert mich an – und ich kann darin nur eine Facette der Selbstzerstörung dieser Gesellschaft erkennen, der ich mich entziehen muss.

Die andere Sache ist die: Wenige Tage vor meiner ersten Kaspar-Hauser-Lesung am 29.9.2002 hatte ich zwei schreckliche Alpträume. Im ersten wurde ich gefoltert, sodass ich nur noch röcheln konnte, und im zweiten wurde ich wieder gefoltert, glaubte aber Hilfe zu finden bei einem Arzt, der sich dann aber als Komplize der Folterknechte entpuppte und mir die Spritze gab, die mich um den Verstand bringen sollte. In derselben Nacht waren die Maria und ihr Sohn Peterl, der Halbbruder meiner Tochter, in Erlangen verhaftet worden. Es ging um Haschisch, und die irrwitzige Mengenangabe von zehn Kilo stand im Raum, obwohl bei den Hausdurchsuchungen nur etwa Hundert Gramm gefunden wurden. Wie ich später von ihm selber erfuhr, wurde der am ganzen Leib zitternde Peterl, den man aus dem Schlaf gerissen und aus dem Bett gezerrt hatte, stundenlang derart eindringlich verhört, dass er alles unterschrieben hatte, nur um diese Tortur zu beenden. Er war schon immer ein schwacher Mensch, denn seine Mutter hatte das Bild ihres sie missbrauchenden Vater auf ihn übertragen, in seiner Pubertät war es sogar zu Schlägereien zwischen ihnen gekommen, und auch von seinem Vater bekam er keine Unterstützung, denn der ist gefühlskalt. So wälzte er die Anklage auf seine Mutter ab und kam nach sechs Wochen Untersuchungshaft als „Kronzeuge“ frei. Er gestand mir, dass er vor seiner Entlassung die angeblichen zehn Kilo, die er von seiner Mutter bekommen habe, auf seine ihn verpfeifenden Ex-Freunde verteilt hatte, und wer besonders schofel zu ihm gewesen sei, dem habe er ein Kilo mehr aufgebrummt.

Ich machte für die Maria eine Entlastungs-Aussage bei der Polizei, die aber nie berücksichtigt wurde, und sehr schlimm war es für mich, zu sehen wie sie im Gefängnis zweimal fast starb. Sie war an sich nicht haftfähig, sondern schon vorher ein gebrochener Mensch mit andauernden Schmerzen, zu deren Linderung sie Haschisch auchte, wie es ihr ein Arzt in der Uni-Kliinik geraten hatte, weil es unschädlicher als die Schmerzmittel sei. Wegen ihrer Angst vor dem Krankenhaus und den Ärzten lief sie fast zwei Jahre lang mit einer aus den Fugen geratenen Endoprothese der Hüfte herum, bis sie sich ein Jahr vor ihrer Verhaftung eine neue einsetzen ließ. Dem Wechsel von Drohungen und falschen Versprechungen, dem sie in der U-Haft ausgesetzt war, hielt sie nicht stand und nannte nach einem langen inneren Kampf einen Namen, der mit der Sache nichts zu tun hatte, was der Zweck der Behandlung war. Ob es stimmt, was ein Gefolterter früher oder später aussagt, interessiert nicht, Hauptsache es kommt zur Denunziation und die Verhaftungen können ausgedehnt werden, je größer die Mengenangaben desto besser – dafür scheint es Fangprämien zu geben.

Beschämend war der Prozess mit der Urteilsverkündung Anfang August 2003 in dem Gerichtsgebäude in Nürnberg, an dem ich als Schüler täglich vorbeiging. Die Maria war vollkommen fertig und konnte fast nicht mehr reden, sie wusste nicht einmal mehr den Geburtstag ihrer Tochter, nach dem der Richter sie aus welchem Grunde auch immer befragte. Als er ihr noch eine Verdrehung anhängte, indem er behauptete, sie habe ein halbes Jahr vor ihrer Verhaftung den Haschisch-Konsum eingestellt und trotzdem weiter gedealt, da wollte sie dies richtig stellen und sagen, was ich bezeugen kann, nämlich dass sie bis zur Haft geraucht hat. Ihr Anwalt zischte ihr zu, sie solle ihren Mund halten, wie sie mir später bei einem Besuch im Frauengefängnis von Aichach erzählte, ich selbst konnte bei der Verhandlung nur sehen, dass sie etwas sagen wollte und er sie einschüchterte. Sie bekam dreieinhalb Jahre trotz ihres Verpfeifens, und der Richter hatte die Stirn, öffentlich zu verkünden, dass er ihr Gesicht nach spätetstens einer Woche vergessen hätte, sie aber seines für immer im Gedächtnis behielte. In seiner Urteilsbegründung betonte er, dass das Strafmaß auch dazu diene, dem Umfeld und den Angehörigen der Verurteilten, die das Ganze offenbar verharmlosen wollten, den Ernst der Lage deutlich zu machen.

Das bezog ich wegen meiner Alpträume auf mich, und die Möglichkeit, dass sie nur darum und genau zu diesem Zeitpunkt geschnappt worden war und mit psychologischen Methoden gefoltert, die keinen Nachweis erlauben, weil ich selbst bestraft werden sollte wegen meiner Frechheit, im Zusammenhang mit Kaspar Hauser entlarvend von den Freimaurern zu reden, schien mir durchaus vorstellbar. Es wurde ja auch meine Tochter mit hinein gezogen, denn sie musste ihre Stelle in Stuttgart aufgeben, um den Woll-Laden ihrer Mutter zu übernehmen, was nach den Worten des Richters eine günstige Prognose hinsichtlich ihrer Resozialisierung und die Voraussetzung für ihre in Aussicht gestellte vorzeitige Entlassung sei. Ich selbst machte mir klar, dass wenn mein Verdacht wahr sei – und meine Paranoia war eine Zeit lang floride – ich auf keinen Fall auf diese Bedrohung hereinfallen durfte, denn wenn man einem Erpresser nur einmal nachgibt, hat er einen gleich ganz in der Hand. Auch glaubte ich, meine Tochter am besten schützen zu können, wenn diese Leute merkten, dass ich auf nichts reagierte und mich auf meinem Weg nur als Leiche aufhalten lasse. Mich zu ermorden wäre zwar das einfachste Ding von der Welt, aber inopportun, denn ich hatte mich schon zu weit in die Öffentlichkeit vorgewagt, sodass ein Zusammenhang hergestellt werden könnte zwischen dem, was ich schrieb, und meinem Tod. Statt den fysischen Mord aber hat man jetzt den sozialen an mir begangen und es tatsächlich geschafft, dass ich das Handtuch hinwerfe. Ich gehe freiwillig und nicht ohne Hoffnung meinen Weg in den Tod auf der Reise. Die Last der Einsamkeit ist mir hier zu tragen nicht länger möglich, und in den armen Ländern der Erde habe ich mich niemals so verloren gefühlt wie hierzulande.             

 

Zusammenfassung

 

Dass ich nicht „normal“ bin, daran kann wohl kein Zweifel bestehen. Schon nach meinem Weggang aus Augsburg verbreitete sich das Gerücht, ich litte an einem „religiösen Wahnsinn“; ich weiss nicht, wer es ausgestreut hat, aber das ist auch egal, und jetzt trifft mich dieses Verdikt erneut, nur noch viel bösartiger. Sollte meine Erkrankung zu den Psychosen gehören, wie mein Herr Bruder, der Doktor der Psychologie und Lehranalytiker meint, dann müsste man sie in den „schizo-affektiven Formenkreis“ stellen, denn ich habe sowohl tief depressive als auch paranoide Anteile. Wenn aber jemand einen „Vergiftungswahn“ hat, so muss geprüft werden, ob nicht wirklich Gift mit im Spiel ist, was ich für meinen Fall unterstelle. Es ist nicht nur das Gift der Autoabgase und der Elektrosmog, sondern auch das Gift der Zerstörung der inneren und äusseren Natur, an dem ich leide -- vielleicht nur etwas intensiver als es andere tun, doch genug, um eine eigene Qualität zu erzeugen.

Was mein Bruder bei seiner Diagnose übersah, war die Frage, wie ein „latent Schizofrener“ seinen Facharzt für Allgemeinmedizin machen und über acht Jahre lang eine Allgemeinarztpraxis betreiben kann und dann über elf Jahre eine Praxis für Psychotherapie mit gutem Ergebnis. Ich selbst empfand mich als Grenzgänger schon lange bevor ich von dem Begriff „Borderline“ hörte, der auf mich anwendbar wäre. Und wenn ich öffentlich und von den eigenen Angehörigen für verrückt erklärt werde, befinde ich mich in guter Gesellschaft, dem Jesus ist es genauso ergangen. Die intensive Beschäftigung mit der Religion jenseits der dogmatischen Ablehnung oder Bejahung derselben ist in dieser Gesellschaft offenbar eine strafbare Sünde.

Der letzte Auslöser für meinen Antrag ist das Nachlassen meiner Kräfte auch körperlich. Diesen Winter litt ich unter einer Monate langen Erkältung, was zuvor noch niemals der Fall war. Ausserdem werden meine Finger und Zehen seit Jahren beim geringsten Kältereiz weiß und taub (Digiti mortui), und die Sehkraft im linken Auge hat sich rapide verschlechtert, was aus Anlass einer neuen Lesebrille vom Optiker festgestellt wurde. Er riet mir dringend zu einer Kontrolle beim Augenarzt, aber ich ging nicht hin, weil ich lieber das natürliche Leiden ertrage als dessen Behandlung. Seit dem Tod meiner Mutter stelle ich, der seit seinem 17. Lebensjahr Tabak raucht, und zwar viel zuviel, mir immer vor, was ich täte, wenn der Krebs mich beträfe. Und ich kam im Laufe der Jahre zu dem Ergebnis, dass ich auf keinen Fall in eine Klinik ginge, zuviel Elend und zu viele unerfüllbare Versprechen habe ich dort miterlebt und höre auch jetzt noch andauernd von dem hingezogenen qualvollen Sterben Krebskranker. Als ich den Entschluss gefasst hatte, lieber auf einer Südsee-Insel oder irgendwo anders, wo das Sterben noch zum Leben gehört, einzugehen, trat ich aus der Krankenversicherung aus und verfasste eine „Patienten-Verfügung“. Nunmehr bin ich aber soweit gekommen, dass ich mich frage: Warum soll ich es abwarten, bis der Krebs mich zerfrisst, um auf meine Insel zu gehen?

 

Und dies sind meine Beschwerden: 1. Chronische Kopfschmerzen, die aus zwei Bestandteilen zusammengesetzt sind, einmal die anfalls- und migräne-artigen, die bis zum Erbrechen führen, und dann die von der riesigen Narbe am Schädel ausgehenden, dem Störungsfeld, das auch auf die kontralaterale Seite ausstrahlt und einen eher dumpfen und ziehenden Spannungs-Kopfschmerz erzeugt. 2. Ein Schmerzsyndrom am Bewegungsapparat mit chronisch rezidivierenden Lumbalgien und Ischialgien, seit zwei Jahren dazu noch im rechten Knie. Hierhin gehören auch andauernd vorhandene Schmerzen im linken Schulter- und Nackenbereich, die seit meiner Scheidung bestehen und sich mit den Kopfschmerzen verbinden. 3. Eine Schlafstörung, ebenfalls seit der Scheidung, die ich nur mit Rotwein behandle; die Menge beträgt drei bis vier Viertel-Liter am Abend, wobei ich dann zur Schlagermusik stundenlang den Kopf rollen muss, um die Spannung darin zu lindern. 4. Eine Jahre lang anhaltende depressive Verstimmung, die mir das Leben zur Qual gemacht hat, so dass ich nicht mehr so sehr daran hänge. Rückblickend kann ich sagen, dass ich nicht nur bei dem Suizid-Versuch den Tod gesucht habe und dem gefährlichen Klettern auf der Eisenbahnbrücke, sondern auch schon vorher und nachher in Todesgefahr war. Als Säugling hatte ich eine massive Diphtherie und wäre fast daran gestorben, und als Kind bin ich zweimal fast ertrunken. Mit 15 hatte ich den schlimmen Unfall auf der Straße, und vor der Afrikareise ging ich unter LSD in die Moggaster Höhle, in der ich bald die Orientierung verlor und nach unmessbarer Zeit durch einen Erdspalt herausfand, der mich nicht durchgelassen hätte, wäre ich nur um ein weniges dicker gewesen. Auf der Reise nach Afrika bekam ich Malaria und auf der nach Sumatra unlängst nahm ich trotzdem profylaktisch nichts ein. 5. Eine Suchtstruktur und damit eine Tendenz zur Selbstzerstörung ist bei alle dem nicht zu verkennen, denn ich bin nicht nur dem Alkohol, dem Tabak und dem Cannabis indica verfallen, ich betreibe fast alles suchtartig, das Schreiben und den Sex eingeschlossen.

Weil ich mehrere Pschotherapeutinnen und -therapeuten aus der Nähe kennen gelernt habe, verlor ich das Vertrauen zu dieser Zunft und muss meine Unheilbarkeit akzeptieren und nach dem besten Mittel der Linderung suchen, das nach meiner Erfahrung im Reisen besteht.

                                                                                                                      

                 

Ergänzung vom 5. 10. 2004:

 

Der Schock der diesjährigen Reise nach Nordwest-Afrika, den ich beschrieb in den „Fliegenden Blättern“, brachte mich bei der Heimkehr zu der Überlegung, ob ich nicht doch noch hier ausharren sollte. Das „Bürgerbegehren“ zur Abnahme des „Bockschen Balkens“ in Ansbach ist erfolgreich gewesen, und als ich die Aktivisten beglückwünschen und sie dazu ermuntern wollte, sich auch für die Entfernung der hässlichen Monster von Goertz einzusetznen, da schlugen mir Stimmen entgegen, die sagten: „Du bist doch der, der gegen die Freiheit der Kunst ist“ – und alle wandten sich von mir ab. Die Fällung der drei Eichen vor der Johanneskirche und die Vertreibung der Dohlen bestätigten mich in meinem Entschluss, fortzugehen, und jetzt bin ich froh, freiwillig eingestimmt zu sein in meine Vertreibung, da ich sonst gezwungen gewesen wäre dazu. Von vielen Seiten musste ich hören, wie mich Menschen, die mich nur aus der Zeitung kannten, verurteilten und kein Wort hören wollten zu meinen Gunsten. Da das Urteil auch in meiner Kollegenschaft vollzogen wurde, bekomme ich keiner Empfehlungen mehr, im Gegenteil heisst es : „Was, zu dem wollen Sie in Therapie gehen?!“ oder: „Was bei dem sind Sie in Therapie?“ – mit einem Unterton, als sei das unmöglich. Ich kann daher meinen Terminkalender nicht mehr füllen, was mein Einkommen schmälert.

Meine Absicht, nicht überstürzt wegzugehen wie seinerzeit von Augsburg, ist neben der „Realebene“ (Hausverkauf, Suche eines Nachfolgers) vor allem darin begründet (wie ich jetzt erst herausfand): dass ich nicht wieder jahrelang von den verlassenen Patienten verfolgt werden möchte; zwei, drei Jahre hat es gedauert, bis ich ihre vorwurfsvollen Gesichter los wurde. Und hier will ich jetzt, gerade aus Trotz zu der Art und Weise, wie mich die örtiche Mafia behandelt, ein gutes Gedenken an mich hinterlassen in den Seelen der Menschen, die mir noch anvertraut sind. Ich will den Abschied mitgestalten und feiern auch mit den wenigen Menschen, die privat zu mir halten und nun wieder etwas mehr wurden als nur die zwei oder drei,von denen  ich schrieb . Fortgejagt müsste ich einen Fluch hinterlassen und auf mich laden, frei willig gegangen und stolzen Hauptes jedoch ist es ein Segen.   

                                      

Ergänzung vom 20. 12. 2004:

 

Im Laufe des Herbstes füllte sich dann doch mein Terminkalender, obwohl ich den neuen Leuten schon am Telefon sagte, dass ich nur noch bis Ende Juni 2005 praktiziere. Auch einige alte Patienten meldeten sich wieder bei mir, was mir gut tat.

Am 9. Dezember trat ich wie gewohnt morgens um neun Uhr meinen Dienst an, und die erste Stunde verlief unauffällig. In der zweiten aber wurde das Gespräch gestört von einem höllischen Lärm, den ich für zwei Sätze noch zu ignorieren versuchte, der mich dann aber zwang, die Frau, die bei mir war, zu unterbrechen: „Entschuldigen Sie bitte, ich muss mal schauen, woher dieser Lärm kommt.“ Ein Blick aus dem Fenster genügte: ein riesiges Aufgebot von Feuerwehr- und Polizei-Wagen mit 50 bis 60 Männern im Einsatz versperrte die Straße, und die Motoren der Feuerwehr-Spritzen heulten sehr laut. Ich rannte nach unten und sah dicke Rauchschwaden aus dem Nachbarhaus qualmen, innen war alles verkohlt, und es stank fürchterlich nach verbranntem Kunststoff. Der Einsatzleiter der Feuerwehr, ein Mann, für den ich wegen seiner Schönheit und Tatkraft Bewunderung empfand, kam nach deer Löschaktion auf mich zu und ging mit mir auf die Dachterasse zwischen meinem Vorder- und Hinterhaus. Nachdem er alles mit wachem Blick erfasst und einige Kommandos ausgeteilt hatte, sagte er eindringlich zu mir: „Wären wir nur fünf Minuten später gekommen, dann wäre hier nichts mehr zu machen gewesen“ – womit er das Hinterhaus meinte, in dem meine Bibliothek und Schreibwerkstatt ist (was dem Bildreporter der Zeitung, der mich in der Kaspar-Hauser-Sache mehrmals fotografierte, bekannt war).

Der Brandmeister begründete seine Rede mit einem Verweis auf das Gelände, wo kein Auto hineinkommt. Am Mittag, als die gröbste Arbeit getan war, fragte ich ihn, wer denn die Feuerwehr benachrichtigt habe, und er sagte, eine Polizeistreife, die zufällig vorbei fuhr. An seiner Glaubwürdigkeit habe ich nicht den geringsten Zweifel, was sich anders verhielt bei der Antwort des Nachbarn auf meine Frage nach dem Grund dieses Brandes. Das sei wohl der Mieter gewesen mit dem Grill in der Küche, er selbst wäre nicht da gewesen. Die Hitze-Entwicklung war so groß, dass die Abfalltonnen im Hinterhof des Nachbarn wegschmolzen und das Glasfenster in der Mauer zu mir völlig zerfetzt war; die Balken auf dieser Mauer, an denen der Efeu und der wilde Wein hochwuchs, die ich mit soviel Liebe gepflanzt und unterstützt hatte, waren versengt und die Ranken zerstört. Im Inneren des Nachbarhauses war alles vernichtet, die Feuerwehr musste wegen Glutnestern die Decken abtragen.

In der Zeitung war dann zu lesen, ein 30-jähriger Bewohner sei bei einer brennenden Kerze eingeschlafen, und diese habe das Feuer verursacht, die Kripo ermittle wegen „fahrlässiger Brandstiftung“. Nun meine Frage: Wenn die Mülltonnen ausserhalb des Hauses wegschmolzen, wie kann dann im Inneren noch die Spur einer Kerze zu finden sein? Und selbst wenn Kerzenreste zu identifizieren gewesen sein sollten, wer ausser dem „Bewohner“ kann sagen, ob sie von brennenden Kerzen abstammten oder von solchen, die ruhten an ihrem Platz? Es kann sich also hier nur um die Aussage des Verursachers handeln und nicht um ein objektiv ermitteltes Untersuchungs-Ergebnis.

Ich habe mir überlegt, ob ich zur Kripo gehen sollte, um eine Aussage zur Vorgeschichte zu machen. Das Nachbarhaus machte nämlich in der letzten Zeit immer mehr den Eindruck, unbewohnt zu sein. Die demolierten Briefkästen quollen über mit Werbeprospekten, und vor der Haustür lagen Stapel von Wochenzeitungen, wenn der Wind sie nicht fort geweht hatte. Zwei bis drei Wochen vor der Feuersbrunst war dem Nachbarn im Keller der Öltank zerbrochen und das ganze Öl ausgelaufen, was fürchterlich stank. Als ich ihn daraufhin ansprach, reagierte er erstaunlich gelassen und sagte, er habe schon alles veranlasst, die Feuerwehr käme zum Pumpen. Vor zwei bis drei Jahren stand der Keller des Nachbarn für längere Zeit unter Wasser, welches bis in meinen Keller eindrang. Und nur nach mehreren Vorhaltungen bis hin zu der Drohung, die Polizei zu benachrichtigen, wenn er nichts unternähme, war der Nachbar bereit, den Wasserschaden zu beheben. Gleich nach seinem Hauskauf vor circa fünf Jahren hat er mich mit seiner neu installierten riesigen Satelliten-Antenne gereizt, deren Irritationen bis heute anhalten.

Aber nicht nur deswegen, weil ich das alles einem Kripobeamten nur schwerlich klar machen könnte, habe ich einen Besuch bei der Polizei unterlassen. Mir fiel die Aussage ein, die ich zugunsten der Maria, der Mutter meiner Tochter, nach ihrer Festnahme 2002 bei der Kripo in Erlangen machte. Sie wurde nie berücksichtigt, und trotz Protokoll war es so, als existierte sie nicht. Wenn die Kripo Ansbach in der Brandsache wirklich ermittelte, dann hätte sie mich als geschädigten Nachbarn befragen müssen, was aber bis jetzt unterblieb und wohl auch nicht mehr erfolgt. Ich dachte auch an den großen Brand des alten Fachwerkhauses, genannt „Grauer Wolf“, in der Ansbacher Altstadt Anfang des Jahres. Da hatte man einen „Brand-Experten“ von auswärts geholt, weil von vorsätzlicher Brandstiftung die Rede ging, und dann war doch tatsächlich in der Zeitung zu lesen, der Experte habe eine Brandstiftung ausschließen können, obwohl er sich bei der Ursache unsicher war, denn er hielt sowohl eine brennende Kerze als auch einen defekten Kocher für möglich. Wie kann er Brandstiftung ausschließen, wenn er die Ursache des Brandes nicht kennt? Diesen Widerspruch ließ der Reporter unkommentiert stehen, die Leser sind derartiges ja schon länger gewöhnt.

Auf jeden Fall habe ich einen viel größeren Schaden erlitten, als das bißchen, was mir vielleicht die Versicherung zahlt für die verkohlten Balken und die verrußten Bücher. Ende Oktober hatte ich mein Haus zum Verkauf ausgeschrieben, unter anderem auch im Internet bei „E-bay“ mit vielen sehr schönen farbigen Fotos, die ein Freundgemacht hat. Es haben an die 1000 Leute die Seite besucht, und die Interessenten, die mein kleines Anwesen besichtigten, waren alle von seiner Schönheit begeistert. Jetzt aber steht das nach Dioxin stinkende und verkohlte Nachbarhaus daneben, und ich würde mein Haus selber nicht kaufen mögen. Ich werde es so schnell nicht loswerden können, wie ich es wollte, um von Ansbach fortzukommen. Ich muss diese Stadt aber verlassen, und umso dringlicher jetzt, da man versucht hat, mich auszräuchern.

Ich habe Todfeinde hier, seitdem ich es gewagt hatte, die örtliche Mafia zu entlarven als Paten der Clique, die den unvorstellbar zynischen Menschenversuch an Kaspar Hauser hemacccht hat. Mich in der Nacht abzufackeln und meine verkohlte Leiche aus den Trümmern meines Hauses zu bergen, wäre zu offensichtlich gewesen und hätte mich als Autor zum Märtyrer werden kassen.

Über die Maria bin ich nicht erpressbar gewesen, obwohl man es versucht hat, und was meine Tochter betrifft, so habe ich den mich abhörende Agenten von der Firma „Guck und Horch“ unmissverständlich zu verstehen gegeben, was ich täte im Falle, sie würden sich an ihr vergreifen. Vor dem Gefängnis, dem Krankenhaus oder dem Friedhof, wohin man sie würfe, würde ich mich selber verbrennen – aber nicht ohne vorher auf meine Internet-Adresse zu weisen, und vielleicht habe ich ihnen damit sogar ein Stichwort gegeben. Ich kann nicht mit letzter Sicherheit wissen, was im Hause des Nachbarn geschah und ob es die pure „Fahrlässigkeit“ war. Bei mir brennen keine Kerzen am hellichten Tag, des Nachts habe ich sie aber schon oft auf ihrem Leuchtern abbrennen lassen, während ich einschlief. Auf einer metallenen Grundlage kann eine abbrennende Kerze nichts anderes tun als verlöschen. Wenn sie allerdings auf brennbares Material gestellt wird, auf einen Pappkarton oder Bierdeckel etwa, dann ist es möglich, einen Brand zu entfachen. Der „30-jährige Bewohner“ hat sich angeblich wegen einer Rauchvergiftung im Krankenhaus behandeln lassen, während eine Frau aus dem zweiten Stock unverletzt aus dem Haus entwichen sei, so hieß es in der Zeitung; ich selbst habe weder diese Frau noch den mutmaßlichen Brandstifter jemals gesehen.

Noch mehr als der Hausbrand beunruhigt mich eine Entzündung, die nun schon die vierte Woche meinen rechten Daumen befallen hat – denselben, den ich mir im vier Jahre zuvor zerquetscht hatte in der Tür zum Haus einer Frau; das Schloß war zuerst aufgesprungen und dann wieder zurückgeschnappt. Zwei Drittel des Nagels waren aus dem Nagelbett abgesprengt worden, und es dauerte ein dreiviertel Jahr, bis ich die Hand wieder frei bewegen konnte. Da war die Causa offenbar, und auch der Kontext war es einigermaßen. Jene Frau war Uterus-amputiert, hatte vier Kinder abgetrieben und nur eines geboren, ihren kleinwüchsigen und gerade pubertierenden Sohn, den just zur selben Zeit eine Mitschülerin mit der Schere tief und stark blutend am Daumen verletzte. Sie hatte ihn „symbolisch“ zu kastrieren versucht, wie es auch seine Mutter ständig probierte, und das nicht bloß bei ihm, sondern auch bei mir und anderen Männern. Sie selbst war als Kind missbraucht worden, mochte aber davon nichts Genaueres wissen, sie begnügte sich mit der Andeutung und Weitergabe der Untat. Dieses Mal aber ist mir der Grund der Verletzung völlig unklar, und das ist es eben, was mich beunruhigt.

Es begann damit, dass ich eines Morgens mit einem heftigen Schmerz unter dem Nagel des rechten Daumens erwachte, der sich so anfühlte, als sei wie zur Folter ein dreifach gezackter Keil hinein getrieben worden, ohne dass aber die geringste äusserliche Spur einer Verletzung zu sehen war. Der Schmerz war zuerst streng lokalisiert, dann verteilte er sich auf Daumenkuppe und Endglied, wo sich ein bläulicher Streifen unter dem Nagel zeigte; dann verfärbten sich weitere um sich greifende Stellen auch gelblich und eine eitrige Entzündung stellte sich ein. Ein Wunder war und ist es bis heute, dass ich während des Schlafes nichts spüre (sonst hätte ich wohl oder übel einen Chirurgen aufsuchen müssen), obwohl der Schmerz sofort beim Erwachen da ist und sich am Abend noch steigert zu einem kaum erträglichen pulsierenden Weh, das manchmal stechend bis in die Daumenwurzel hineinfährt. Ich bin mir keinerlei Verletzung dieses Gliedes bewusst, und doch muss es ein Trauma gewesen sein wegen des plötzlichen Anfangs.

Als ich vor sieben Jahren mit einer anderen Frau zusammen war und sie eines Nachts nach einem das Herz zereissenden Schubert-Abend vergewaltigen wollte, was aber nicht ging, weil ich infolge übermäßigen Weingenusses impotent war, konnte ich mich daran gut erinnern, als die Frau ein dreiviertel Jahr später erstmals davon sprach – obwohl ich bewusst nie daran gedacht hatte. Es war übrigens das einzige Mal in meinem Leben, dass ich dergleichen probierte (lieber lasse ich mich ab und zu von einer Domina peitschen). Jene Frau gestand mir dann unter Tränen, wie sie als noch unreifes Mädchen jahrelang von ihrem sechs Jahre älteren Bruder im Ehebett der Eltern vergewaltigt worden war – die eigenen Eltern hatten die beiden dorthin verfrachtet, um selber getrennte Betten zu haben!

Oder die Verletzung des Daumens meines rechten Fußes (der Großzehe) in meinen zwanziger Jahren, als mich, der ich unter LSD stand und kein Geld mehr hatte, mir aber einbildete, ich hätte noch welches, ein wütender Rausschmeisser auf Sankt Pauli in Hamburg mit dem Stiefelabsatz so hart darauf trat, dass es fast ein Jahr dauerte, bis der dunkel verfärbte Nagel mit seinem Bett wieder heilte, ist mir noch deutlich bewusst. Aber diesmal ist nichts dergleichen im Spiel, und wenn ich darüber nachgrüble, könnte ich heulen und wirklich den Verstand noch verlieren. Ich halte mich also lieber daran, dass ich ein Schmerz-Training mache und meine Linkshändigkeit wieder übe. Es bestaand die Gefahr einer Sepsis, doch scheint nun meine Abwehr mit der Hilfe hochfrequent eingenommener Schlangengift in homöopathiser Zubereitung ganz langsam zu siegen. Wofür ich dankbar bin, das ist die Erkenntnis, dass todkranke Menschen wie Mozart eine völlig makellose Musik machen können, der man vom Sterben überhaupt nichts anmerkt -- und genauso schreibe ich jetzt an meiner Grammatik des Alten Hebräisch.

Von einem anderen Ereignis muss ich hier noch berichten, das geschah im Mai diesen Jahres. Im letzten Drittel des April war nach Nerven raubenden Verzögerungen mein Internet-Auftritt endlich erfolgt, und mit Handzetteln ausgerüstet sprach ich etwa drei Wochen hindurch die Passanten an mit der Frage: „Erlauben Sie bitte eine Frage: Wie gefallen Ihnen diese Kunstwerke?“ Und dabei deutete ich auf das „Bach-Denkmal“ vor der Johanneskriche oder auf die beiden „Köpfe mit Durchblick“ vor der Gumbertuskirche, die auf einen „einsamen Entschluss“ des Oberbürgermeisters nicht wie die übrigen „Görtzen“ abgeholt worden, sondern stehen geblieben waren, finanziert von Sponsoren, die nicht genannt werden wollten. Ich kam mit den Leuten sehr gut ins Gespräch, erzählte ihnen kurz die Geschichte meiner Verunglimpfung und gab ihnen die Zettel mit der Adresse. Ich erweiterte mein Gesprächsangebot später um die Frage: „Was halten Sie von den Foltermethoden der US-Regierung im Irak und auf Kuba?“ Und da war das Interesse noch intensiver und die Zustimmung noch größer, wenn ich sagte: „Lesen Sie dazu meine Artikel zum 11. September und zu Kaspar Hauser“.

Am zweiten Samstag im Mai war ich wieder so unterwegs mit sehr guter Resonanz, dann aber nicht mehr, denn am Tage darauf, am „Mutter-Tag“, rief mich eine Bekannte an und sagte, sie selbst und andere hätten nun schon mehrmals meine Seite aufschlagen wollen unter der angegebenen Adresse, allein es tue sich nichts. Es war um elf Uhr vormittags, als ich meine „Agentin“ anrief, die Frau, die mir die „Website“ eingerichtet hatte; und da zeigte sie mir ihr wahres Gesicht. Als ich sie fragte, wie ich da stünde, wenn ich Handzettel verteilte mit einer Adresse, die nicht einmal einen Hinweis auf eine vorübergehende Störung enthielte, fuhr sie mich barsch an und sagte, was mir einfiele sie zu stören am Muttertag, und schmiss den Telefon-Hörer auf die Gabel.

Später behauptete sie, die Firma, durch die sie mich ins Netz gestellt habe, hätte ganz plötzlich pleite gemacht, und um mich noch mehr zu reizen, fügte sie hinzu, nicht alle Kunden seien so geschädigt worden wie ich, etliche hätten zu einer Nachfolge-Firma gewechselt. Auf meine Frage, warum ich dann nicht auch, gab sie mir keine Antwort und erfüllte auch nicht meine Bitte, mir wenigstens eine Adresse eines gleich mir Geschädigten zu geben, womit ich hätte nachprüfen können, ob die Geschichte wahr sei.

Wäre sie eine von meinen Feinden bezahlte Agentin gewesen, hätte sie sich nicht besser anstellen können, und vielleicht war sie das auch. Das Traurige aber war, dass ich sie kannte aus der Zeit der Renovation meines hiesigen Hauses; dann hatte ich sie einige Jahre aus den Augen verloren, sie hatte eine Ausbildung in einer preußischen Großstadt gemacht. Und beim Wiedersehen sprach sie so wie früher mit mir, bzw. sie gab sich den Anschein. Meine Reaktion auf diesen Vorfall war doppelt: zum einen brachte ich dank eines hilfreichen Jünglings meine Adresse bei einer Firma mit Millionen Kunden unter, die nicht so einfach Pleite machen kann wie jene obskure – und zum anderen löschte ich den „Shop“ aus und gab alles gratis heraus. Das nenne ich auf der Begrüßungsseite den „Peitschenhieb Jesu“, der den Rest meiner Käuflichkeit aus dem Tempel hinausjagt. Und es ist zu ermessen, wie sehr diese Wendung meine Feinde zur Wut gereizt hat.

 

Nachtrag vom 11. 4. 2005:

 

Ich möchte für mich die Diagnose „Posttraumatische Belastungs-Störung“ in Anspruch nehmen, aus der alle anderen Diagnosen hervorgehen. Und zum Zeichen dafür, dass meine „Paranoia“ nicht psychotisch ist, führe ich noch das Folgende an. Nach dem Desaster meines letzten öffentlichen Auftrittes hatte ich mir geschworen, nie mehr in dieser Stadt aufzutreten, aber im Herbst fragte mich eine Bekannte, die aus eigenem furchtbarem Leid eine „Selbsthilfegruppe Zahnmaterial-Geschädigter“ gegründet hatte, nach einem Beitrag von mir im Dezember. Ich willigte ein, zumal es ein sehr kleiner Kreis war und ich meine eigene ziemlich schlimme Erfahrung mit der Zahnmedizin darstellen konnte, um den Hinweis auf selbst zu verantwortende Entscheidungen zu geben, d.h. was man mit sich machen lässt und was nicht. Zur Überraschung meiner Bekannten war mein Vortrag in der Zeitung mit einem großen Foto von mir angekündigt, was bei den anderen Referenten nie der Fall war. Es war ein abstoßendes, befremdendes Foto, das ich nicht kannte und das sich bei genauerem Hinsehen als geschossen erwies im Anglet-Saal des Kulturzentrums. Ich konnte dies an der Bühne und dem Aufgang dorthin erkennen, und genau davor stand ich im Sommer beim „Offenen Forum“ im Rahmen der „Kaspar-Hauser-Fespiele 2004“. Ich griff dort die Rede vom „Skull-and-Bones-Club“ auf, zu dessen Mitgliedern sowohl Bush wie auch sein „Herausforderer“ Carry gehören, und erläuterte, wie die örtliche Filiale gegen mich gearbeitet hatte. Da musste mich jemand heimlich fotografiert haben, um sich einen üblen Scherz mit mir zu erlauben, und auch der Brandanschlag war als Bestrafung gemeint.

Zur nämlichen Zeit hatte ein anderer unbekannter Jemand das Kaspar-Hauser-Denkmal im Hofgarten geschändet. Sehr sorgfältig und wie mit dem Pinsel gemalt prangte in synthetischem Blau die Parole „Fuck the World“ – und als große Initiale wie aus den Heiligenbüchern von einst stand ein lächerlich verschnörkeltes A, in welches ein kleines N eingelassen war, sodass ich meine Initialen A.N. erkennen musste. Ich hatte ja in meinem Kaspar-Hauser-Beitrag schon auf die Gefahr der Schändung dieses Denkmals verwiesen, und diesmal wurde der hässliche Schriftzug wochenlang nicht entfernt wie sonst die eher harmlosen Kritzeleien von Schülern und jugendlichen Verliebten auf dem Sandstein. Ich selbst musste mit einem Spachtel den Blödsinn abkratzen, was ich nach einigem Zögern besorgte.                    

 

Nachtrag vom März 2010

 

Nach fünf Begutachtungen ist mittlerweile meine dauernde Berufsunfähigkeit anerkannt worden. Der Nachbar hat mit dem Geld der Brandversicherung aus seinem Haus eine tolle Pizzeria gemacht. Mein Haus habe ich nicht verkaufen können und daher vermietet. Seit zwei Jahren habe ich keinen festen Wohnsitz mehr und seit eineinhalb Jahren habe ich Deutschland verlassen. Am 26. 12. 2004 hat es mir den rechten Daumennagel insgesamt weggesprengt, wobei sich eine Menge Eiter entleerte; zuvor war ein bläulicher Streifen am Unterarm zu sehen gewesen, eine Lymfangitis als Vorstufe zur Blutvergiftung. Ich hätte niemals geglaubt, dass sich der Daumennagel regenerieren würde, es geschah aber dennoch. Im Dezember 2004 waren mehrere Ereignisse zusammengetroffen, um mich zu vernichten, die Brandstiftung nach der Rufmordkampagne, das abscheuliche Foto von mir in der Zeitung mit der Botschaft: du stehst auf der Abschusslinie – sowie der Angriff auf meine körperliche Integrität, der meinem Kopf galt, von meinem Schutzengel jedoch auf den Daumen abgelenkt werden konnte. Und dazu kamen noch zwei private Geschichten, die ich nun wiedergebe.

Über eine Annonce in der Wochenzeitung mit der Überschrift „Begleit-Service“ hatte ich eine Polin mit dem schönen Namen Anastasia kennengelernt, die als ambulante Hure unterwegs war und Hausbesuche machte. Zwei bis drei Jahre lang kam sie in meine Dachwohnung, und weil sie keinen Freund hatte, genoss sie das Liebesspiel mit mir aus vollem Herzen. Wir tanzten nackt zur Rumba-Musik, und irgendwann bot sie mir an, auf das Kondom zu verzichten; auf meine erschrockene Reaktion fragte sie mich, ob ich krank sei, und ich sagte, das nicht, aber ich wollte kein Kind, woraufhin sie mich damit beruhigte, dass sie zur Sicherheit die Pille nähme. Im September 2004 lud sie mich ein zu einer Reise in ihre Heimat über Weihnachten und Silvester, und weil ich glaubte, geträumt zu haben, fragte ich sie danach noch zweimal, ob sie das wirklich ernst meinte, und ihre Antwort war, warum sie so etwas erfinden sollte. Ich freute mich sehr, aber je näher der Termin kam, desto stärker erfasste mich ein Gefühl der Verzweiflung, eine Vorahnung der bösartigen Täuschung, die sie sich mit mir erlaubte. Im Dezember war sie ganz plötzlich telefonisch nicht mehr errreichbar, auch über die Feiertage wählte ich ihre Handy-Nummer vergeblich, und als ich sie Ende Januar 2005 endlich sprechen konnte, gab sie mir auf meine Frage, warum sie mich ohne ein Wort der Erklärung hatte sitzenlassen, die absurde Antwort, ich hätte sie nie nach ihrer Tochter gefragt, von der ich gar nichts wusste (während ich ihr von der meinigen sehr wohl erzählt hatte).

Von meinem alten Wunsch, eine Hure zur Freundin zu haben, konnten meine Feinde aus meinen im Internet veröffentlichten Texten erfahren haben und an die Frau, die mir diesen Wunsch zu erfüllen schien, herangetreten sein, um sie mit einer hübschen Geldsumme dazu zu bewegen, mich ins Messer laufen zu lassen. Dass mein Telefon abgehört wurde, steht für mich fest, und als ich eines Tages meinen Namen „googelte“ fand ich einen Eintrag, der besagte, in meinem Ansbacher Haus sei ein Al-Qaida Büro. Irgendein Scherzbold hatte ein Foto von meinem Haus abgebildet und es mit diesem Hinweis versehen. Und in einem anderen Eintrag mit dem Titel „Was Sie schon immer über Axel Nitzschke wissen wollten“ war ein Foto von mir und daneben das von dem „Gnom Gertrud“, der Mutter des Goertz (siehe dazu den 27. Band meiner Werke).

Einen persönlichen Grund für das befremdliche Benehmen der Anastasia konnte ich nicht erkennen, wären ihr Zweifel gekommen, hätte sie mir absagen können; aber vielleicht war sie zu feige dazu und die Idee ihrer Bestechung meiner Paranoia geschuldet. Auf jeden Fall trug ihr Verhalten zu meiner Schwächung bei, und den Rest gab mir dann meine eigene Tochter. Um dies zu erläutern, muss ich etwas weiter ausholen. Circa zehn Jahre verbrachte ich das Weihnachtsfest bei der Maria, der Mutter der Nora, das war schon Tradition und für mich, der ich keine Familie habe, ein Trost. Getrübt waren diese Tage, seitdem die Maria ihren Ehemann Paul, den Vater des Peterl, des Halbbruders meiner Tochter, aus der gemeinsamen Wohnung entfernt hatte, denn er randalierte regelmäßig, warf am Heiligen Abend die Kreissäge an undsoweiter. Weihnachten 2003 war die Maria im Knast, ich kam trotzdem zu Besuch, die Nora hatte im Wohnzimmer den Weihnachtsbaum geschmückt, aber der Paul und sein Sohn betraten es nicht und verbrachten die ganze Zeit in der Küche, ohne mich zu begrüßen. Vom Paul war ich dergleichen gewöhnt, nicht jedoch von seinem Sohn, den ich ins Herz geschlossen hatte, seitdem er sich als Kind darüber beschwerte, dass die Nora zwei Väter hätte, er aber nur einen. Er war offenbar sauer auf mich, weil ich ihm ins Gewissen geredet und ihn aufgefordert hatte, seine Aussage betreffs der zehn Kilogramm Haschisch zurückzunehmen und sich dabei auf den Druck, der auf ihn ausgeübt worden war, zu berufen, was er nicht getan hatte, vermutlich aus Hass auf seine Mutter. Als ich ihn später fragte, warum er mich an jenem Abend nicht begrüßt hätte, sagte er, das wüsste er nicht, und als ich ihn an meine Mahnrede erinnerte, konnte er sich angeblich nicht mehr daran erinnern.

Am Karfreitag 2004 wurde dem Peterl eine Tochter geboren, seine Freundin, eine Arzttochter, hatte die Schwangerschaft bis zuletzt geleugnet und war dann dazu entschlossen, das Kind zur Adoption freizugeben. Die Maria hatte ihren ersten Hafturlaub bekommen und rief mich an, am Ostersonntag mit zu der Arztfamilie zu gehen, weil sie alles dafür tun wollte, ihre Enkeltochter an sich zu reissen, zu ihrem Besten, wie sie meinte. Ich wurde von ihrem Schwung angesteckt, doch auf dem Weg zum Bahnhof musste ich, ohne dass es mir zuvor übel war, plötzlich kotzen, wodurch mir ein Licht aufging und ich meine Teilnahme an ihrer Aktion telefonisch absagte. Am Ostermontag machte ich mit dem Peterl und der Nora einen Ausflug zum „Walberla“, wo wir die Geschichte durchsprachen und versuchten, das Verhalten der Kindesmutter zu deuten. Der Maria hatte ich am Vormittag schon gesagt, dass sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes ja gar nicht in der Lage sei, das Kind aufzuziehen, und wieder hätte sie die Nora mit hineinziehen müssen, wie schon wegen der in Aussicht gestellten vorzeitigen Entlassung aus der Haft, wovon der Richter gesprochen hatte: „Ihr Töchterlein wird ja ihren Woll-Laden führen, und daher haben Sie eine günstige soziale Prognose“. Das war eine Lüge, denn sie musste die vollen zwei Drittel der verhängten Dauer absitzen, wie es bei nicht Vorbestraften allgemein üblich ist. Bei der Rückkehr von unserem Ausflug zu dritt fauchte mich die Maria an, ich würde ihr ihre Kinder wegnehmen, wobei sie so tat, als ob ich an ihrem Übel schuld sei. Im Wirklichkeit hatte sie viel mehr Kontakt zu unserer gemeinsamen Tochter, die Nora hat sie einmal pro Woche im Knast besucht, während sie mich viel seltener sah. Dem Peterl hatte ich noch gesagt, dass es die Möglichkeit gäbe, Kontakt zu seiner Tochter aufzunehmen, wenn die Adoptiveltern einverstanden seien und nicht befürchten müssten, dass er ihnen das Kind wegnehmen wollte (ich hatte zufällig eine Radiosendung zu diesem Thema gehört), er ging aber nicht darauf ein.

Nachdem mich die Polin so schnöde hatte auflaufen lassen, kündigte ich meinen Besuch in Erlangen zum zweiten Weihnachtstag an, am Heiligen Abend wollte ich nach dem Erlebnis im Vorjahr nicht kommen. Kurz vor den Feiertagen rief mich meine Tochter im Auftrag ihrer Mutter an und sagte, dass ich am Heiligen Abend kommen sollte und wenn ich das nicht täte, bräuchte ich mich überhaupt nicht blicken zu lassen; ich sah darin die Replik der Maria auf meine Absage, mich an ihrer Aktion zur „Rettung“ ihrer Enkeltochter zu beteiligen, und war wütend, weil sich die Nora zu ihrem Sprachrohr gemacht hatte, obwohl sie vom Inhalt ihrer Mitteilung selber entsetzt war. So blieb ich allein, und die Tochter erkundigte sich nicht nach meinem Befinden, geschweige denn dass sie auf die Idee gekommen wäre, mich zu besuchen.

 

Nachdem die Frau aus Ansbach, die meine Website eingerichtet hatte, sie kurze Zeit später im Nichts verschwinden ließ, hatte ich den Peterl, der die nötige Sachkenntnis hatte, gefragt, ob er die Angelegenheit übernehmen könnte, wozu er bereit war, und es lief eine Zeitlang ganz gut. Im Herbst 2006 schrieb ich mein Buch zur Zauberflöte und zur Ermordung von Mozart, das der Peterl wie die vorigen Bände ins Netz gestellt hat. Ich hatte mir schon zuvor raten lassen, die Suchwörter bei Google so anzubringen, dass eine Chance bestand, auf meine Adresse zu kommen, nämlich dann wenn sie in der Kombination ungewöhnlich sind (zum Beispiel „Fäkalwitze“ und „Schikaneder“). Aus irgendeinem Grund hatte ich dann das Gefühl, dass die Suchwörter zu Mozart nicht auffindbar waren, und bat die Nora darum, meinen Verdacht nachzuprüfen, weil ich keinen Internet-Anschluss besitze. Ich musste meine Bitte per Brief wiederholen, über ein halbes Jahr bekam ich keine Antwort. Im Mai 2007 besuchte mich der Peterl in Köttweinsdorf und hatte sein Laptop dabei; ich bat ihn darum, nachzuschauen, was mit den Suchwörter sei, und es dauerte keine drei Minuten, bis er feststellte, dass sie nicht da waren. Er hätte gleich zugeben können, dass er sie nicht hineingestellt hatte, aber auf diese Weise erfuhr ich, wie gering der Aufwand war, den es brauchte, um zu dem Ergebnis zu kommen, der Nora waren also drei Minuten Mühe für mich schon zu viel gewesen. Ohne ihn zu tadeln bat ich den Peterl darum, das Versäumnis nachzuholen, und gab ihm einen neuen Text mit, die „Glossen zur Geschichte“, die er ins Netz zu stellen versprach.

Im September 2007 besuchte ich meine Verwandten in Dresden und musste mithilfe von deren Computer erkennen, dass nicht nur die Mozart-Suchwörter ins Leere liefen, sondern auch der neue Text fehlte. Daraufhin versuchte ich, den Peterl mehrere Wochen vergeblich zu erreichen, es war immer nur seine Automatenstimme auf dem Handy zu hören. Zum Glück fand ich einen neuen „Provider“, der aber die geheimen Zugangsdaten benötigte, um mir zur Hilfe zu kommen. Über den Vater des Peterl bekam ich dessen neue Adresse heraus und schrieb ihm, er möge mir dringendst den Code zur Kenntnis geben, worauf er nicht reagierte. Mein neuer Provider musste einen Antrag bei der Firma einreichen, wofür eine Kopie meines Personalausweises und meine Vollmacht nötig war; das Ganze kostete mich mehr als zweihundert Euro, die mich aber weniger schmerzten als das Schweigen des M. Als die Sache durch war, bekam mein neuer Agent per E-mail eine Drohung des M., die er mich lesen ließ; darin stand, er hätte das Postgeheimnis gebrochen und müsste mit einer Anzeige rechnen. Der M. hatte meine Internetadresse offenbar für private Zwecke benutzt und führte sich jetzt dermaßen verrückt auf. Zu Weihnachten 2007 schickte er mir einen Kurzbrief, in dem er sein Verhalten zu bereuen schien, in meiner Antwort forderte ich ihn auf, die Suchwörter, die mein neuer Mann eingegeben hatte, wie er mir sagte, zu überprüfen. Ein dreiviertel Jahr hatte der Peterl Zeit, denn solange wohnte ich noch in Köttweinsdorf, aber er antwortete nicht, und seither habe ich nichts mehr von ihm gehört und gesehen.

Der Nora hatte ich gleich nach dem Bekanntwerden des ersten Versäumnisses ihres Halbbruders geschrieben und sie gefragt, warum sie in der langen Zwischenzeit nicht einmal drei Minuten für mich erübrigen konnte. In ihrer Antwort beklagte sie sich darüber, dass ich sie zum Briefeschreiben nötigen und sie für das Fehlverhalten des Peterl beschuldigen würde, was ich postwendend zurückwies. Sie redete sich auf „Schussligkeit und andere Prioritäten“ hinaus, und ich gab ihr zu bedenken, dass diese Begriffe sich gegenseitig ausschließen, da „Schussligkeit“ ein unbewusstes Vergessen oder Verschlampen bedeutet, „andere Prioritäten“ jedoch eine bewusste Entscheidung verlangen. Bis zu ihrem letzten Brief im März 2008 sah sie nicht in der Lage, diesen Unterschied einzusehen, und in demselben Brief schrieb sie, dass sie ein „konventionelles Leben führen“ wolle und Angst vor mir hätte, ohne zu sagen warum und wovor. Das Weihnachtsfest 2005 hatte ich in einem meiner früheren Brief zur Sprache gebracht, und nun musste ich von ihr vernehmen, sie könne sich noch sehr gut daran erinnern, die Maria hätte die Bitte geäussert, dass ich schon am Heiligen Abend kommen sollte, worauf ich enttäuscht reagiert hätte und wütend geworden sei – als ob ich der Unmensch wäre, als den die Maria mich sah; ausserdem behauptete sie, ihre Mutter hätte zu diesem Zeitpunkt ihren ersten Hafturlaub gehabt (dabei war es der zweite) und sie deswegen nicht auf den Gedanken gekommen sei, mich zu besuchen. Um unser Verhältnis „zu normalisieren“, schlug sie mir vor, mich zusammen mit ihrer Freundin Anke zu treffen.

Ein unsägliches Trauerspiel ist dies und regt mich noch heute so auf, dass ich immer nur ein paar Sätze am Stück schreiben kann. Ein jeder, der Zeuge des Verhältnissses zwischen mir und meiner Tochter geworden war, hatte sich über die Güte desselben gewundert -- und dann dieses beschämende Ende.

Im Verlauf der Geschichte erinnerte ich mich, dass ich vor jener Bitte zwei andere vorgebracht hatte, die beide nicht erfüllt wurden. Meine Tochter studierte in Bamberg Geschichte im Hauptfach und Kunstgeschichte und Deutsch in den Nebenfächern. Meine erste Bitte war die um Auskunft über den Königsmord im Bamberger Dom und meine zweite um die nach der Endung -nitz in den Flussnamen Regnitz, Pegnitz, Rednitz und Wörnitz. Auf die erste erhielt ich trotz mehrfacher Nachfrage überhaupt keine Antwort, auf die zweite, wiederum nach mehrfacher Nachfrage, einen Brief von der Anke, der Freundin meiner Toch ter, worin sie mir über die Herkunft meines Familiennamens Nitzschke Kopien zusandte, aber danach hatte ich nicht gefragt und das war mir bekannt. Nun muss man wissen, dass wir, die Nora, die Anke und ich, uns mehrmals getroffen hatten, wobei es zwischen mir und der Anke heftig gefunkt hat; ich genoss diesen Flirt, ohne jemals daran zu denken, mehr daraus werden zu lassen, und meine Tochter hatte es mit Sicherheit mitbekommen. Dass sie mir nun vorschlug, uns wieder zu dritt zu treffen, erschreckte mich deshalb, weil ich darin ihre Berechnung am Werk sah. Sie selbst hatte mir einst nicht gestanden, sondern triumfierend erzählt, wie sie ihre Professoren bezirzte, sodass sie die Eins in allen Fächern bekam; ihre Magisterarbeit hatte sie mir zum Lesen gegeben, und ich fand einige Schlampereien darin, die sie leicht hätte ausbessern können, aber das hatte sie ja nicht nötig, denn die Eins war ihr sicher.

In meiner Antwort auf ihren letzten Brief stellte ich ihre Verdrehungen richtig und verstieg mich zu der kühnen Behauptung, die Angst vor mir sei die Angst vor der Wahrheit. Zum letzten Mal leibhaftig gesehen habe ich sie am zweiten Weihnachtstag 2006, wo sie mich in Köttweinsdorf besuchte, ihre Mutter war wieder todkrank, und sie glaubte ihren Laden hüten zu müssen, sodass sie nicht viel Zeit für mich hatte, obwohl der Laden gut und gerne auch einen Tag hätte zubleiben können. Im Sommer 2007 muss die Nora geheiratet haben, ich war zur Hochzeit geladen, bin aber nicht hingegangen, weil ich keine Lust hatte, an der „Feier eines Menschenopfers“ teilzunehmen, wie ich mich in meiner schroff gewordenen Art ausgedrückt habe. Ausserdem hatte ich keinen Bock darauf, ihre Angehörigen zu sehen, die mich so schofel behandelt hatten, und die Missachtung meiner Person durch die Nora stand weiterhnin ungeklärt zwischen uns. Ihr Angebot, sich hinter ihrer Freundin zu verstecken, lehnte ich ab und schrieb ihr, dass sie sich melden sollte, wenn sie keine Angst mehr vor mir hätte und mich mit anderen Augen sehen könnte. Im Nachhinein wurde mir klar, dass sie alles daran gesetzt hatte, um mich auszugrenzen, weil meine radikalen Ansichten sie irritierten und störten. Und dabei ging sie sehr bewusst vor, zum Beispiel indem sie das Wort „Normalisieren“ benutzte, wo sie doch ganz genau wusste, wie allergisch ich auf den Begriff der Normalität und der Norm bin.

 

Meinem neuen Verbindungsmann zum Internet hatte ich die Geschichten seiner Vorgänger erzählt und ihn darum gebeten, dass er, falls jemand an ihn herantreten sollte und ihn durch Bestechung oder Drohung dazu bringen wollte, von seiner Arbeit für mich Abstand zu nehmen, mir Bescheid sagen möge, damit es mich nicht noch einmal so hinterrücks trifft. Bei der Frau aus Ansbach halte ich den Eingriff von Agenten für wahrscheinlich, beim Peterl eher nicht, obwohl es auch da nicht ganz auszuschließen ist. Bei ihm wie bei seiner Halbschwester war wohl etwas anderes wirksam, die verinnerlichte Angst vor den schrecklichen Wahrheiten, die ich in meinen Schriften ans Licht gebracht habe. Und ich glaube, dass sie den menschlichen Kontakt zu mir gerne aufrecht erhalten hälten, aber die Furcht, deren Quelle sie in mir sahen, war größer, ohne dass sie bemerkten, wie sie von dieser Furcht beherrscht werden unabhängig von mir, und das gilt auch für andere Menschen.

Als der Peterl meine Website betreute, hatte ich in der Begrüßung geschrieben, dass es keinen Sinn hätte, ihn anzugreifen, da genügend viele Sicherheitskopien in ganz Europa deponiert wären. Zu meinem zweifachen Folterungstraum in der Nacht der Verhaftung des Peterl und seiner Mutter ließ sich übrigens eine Parallele zur Wirklichkeit finden, die darin bestand, dass zunächst ein einziger Anwalt für beide eintrat, ein Bekannter des Paul, was ich unmöglich fand, weil der eine Klient (der Peterl) den anderen (seine Mutter) belastete. Ein alter Schulfreund von mir, ein Arzt, dem ich die Sache erzählte, empfahl mir eine Anwältin, die er gut kannte, und nachdem ich mich an sie gewandt hatte, schöpfte ich Hoffnung. Sie sagte mir zu, die Akten in ihrer Kanzlei lesen zu wollen, was sie dann aber auf den Befehl ihres Kompagnon wieder zurücknahm, und als ich diesen, der die Sache an sich riss, zum ersten Mal sah, war mir klar, dass er zur Clique gehörte. Ich suchte dann noch einen anderen Anwalt auf, der mir von der Drogenhilfe „Mudra“ empfohlen wurde, und nachdem ich ihm den Sachverhalt vorgetragen hatte, erzählte er, der in etwa so alt war wie ich, von der Zeit als er angefangen hatte; damals seien die Gerichtsverhandlungen noch echte Verhandlungen gewesen, in denen es um die Wahrheitsfindung gegangen sei, inzwischen gäbe es jedoch nur noch „Deals“, die vor der Verhandlung zwischen dem Staatsanwalt, dem Richter und dem „Verteidiger“ des Angeklagten ausgemacht würden, sodass das Urteil schon vor der Verhalndlung feststeht. Dem Angeklagten wird vor Augen gehalten, dass er bei einem Geständnis sagen wir drei Jahre bekommt und nach zwei entlassen wird, zeige er sich aber nicht kooperationswillig, erwarteten ihn zwölf Jahre Haft, und er käme frühestens nach neun Jahren in Freiheit; in einer solchen Situation wird der Angeklagte, ob er nun schuldig oder unschuldig ist, das von ihm Verlangte gestehen, und die Statistik der Verbrechensbekämpfung sieht zur Beruhigung der Bürger sehr schön aus.

  

 Meine Mutter starb im Krankenhaus Martha-Maria in Nürnberg-Erlenstegen, auf dem selben Gelände, wohin mich meine Eltern in das Kinder- und Waisenheim Martha-Maria verbrachten, und ich nicht mehr wusste, was ich bin, Kind oder Waise. Dieses Heim exisitierte nicht mehr, das Krankenhaus war ein Neubau daneben und das ehemalige Heim zu einer Wohnstätte für Schwestern und Pfleger geworden. Ich ging durch die Gänge, und als mich jemand ansprach, was ich hier zu suchen hätte, erklärte ich, dass ich einst ein Insasse des Kinderheims war, woraufhin ich erfuhr, dass eine der Diakonissen noch lebte; den mir gemachten Vorschlag, sie zu besuchen, realisierte ich jedoch nicht, zu groß war das Grauen, das mich erfasste.

Meine Mutter starb nach ihrem mehr als einjährigen Leiden sehr friedlich; nachdem man sie in eine Nebenkammer abgeschoben hatte; weil sie ins Koma gefallen war, blieb ich am Freitag Abend noch stundenlang bei ihr und sang ihr zu meiner eigenen Verwunderung uralte Gesänge, am anderen Morgen war sie dann tot.

Ich glaube, den Zeitpunkt benennen zu können, an dem die Krebskrankheit in sie hineinfuhr. Es war ein paar Jahre vor ihrem Tod, als ich mit meiner Ehefrau einen „Schamanen-Kongess“ im ehemaligen Kloster Irrsee besuchte, und da meine Mutter eine Kur in Bad Wörishofen genau an dem Tage abschloss, da der Kongress zu Ende ging, vereinbarten wir ein Treffen in dem auf ihrem Weg gelegenen Kloster. Bei einem Spaziergang im Wald kamen wir auf ihre Mutter Hedwig zu sprechen, und plötzlich brach ein solcher Hass aus meiner Mutter heraus, dass ich erschrak. Sie beschuldigte ihre verstorbene Mutter und klagte sie sehr heftig an, sodass ich mich genötigt sah, ein Gegengewicht auf die Waagschale zu werfen. Ich sagte, dass ich sie mit demselben Recht beschuldigen könnte, weil sie mich ins Heim gesteckt hatte, ohne mein Unglück zu sehen, und dass sie wie auch mein Vater nicht bemerkt hatten, wie ich mich verschloss, und nach dem Selbstmordversuch einseitig die Irmin verteufelten, ohne ihre eigene Beteiligung sehen zu wollen. Die Stimmung war äusserst verspannt, und als wir zum Mittagessen in ein Restaurant gingen, hatte keiner von uns Appetit. Das Lokal war überfüllt, und da kam der schwarzafrikanische Schamane herein, den ich von allen als den einzig echten ansah, blickte sich suchend um und fragte dann höflich, ob bei uns noch Platz sei, wozu er sich wohl auch durch meinen koreanische Frau ermutigt fühlte. Mir kam er vor wie der Erlöser, aber meiner Mutter war es nicht recht, dass er sich zu uns setzte, was sie mit ihrer gewohnten freundlich und verbindlich erscheinenden Geschäftsmaske gekonnt überspielte. Die Chance, in eine andere Schwingung zu kommen, vertat sie, und als ich sie, die ein Stück des Weges hinter mir herfuhr, im Rückspiegel sah, erschrak ich noch einmal, denn ihr Gesicht hatte sich dermaßen verzerrt, dass ich wusste, das bliebe nicht ohne Folgen. 

 

Was die „uralten Gesänge“ betrifft, so möchte ich noch folgendes sagen: schon in der Schule hieß es, ich könnte nicht singen, weil ich die vorgeschriebenen Töne nicht traf; erst viel später erkannte ich, dass es das harmonische Korsett des Okzidents war, gegen das ich mich wehrte. Auf der zu Südkorea gehörenden vulkanischen Insel Ullong-Do im Gelben Meer hörte ich einst aus dem Radio einen Japaner seltsame Töne hervorbringend singen, das war in einem Cafe-Haus, und ich sagte zu meiner Frau: der singt ja genauso wie ich. Auf einem Fest von Menschen aus Nuristan, zu dem ich eingeladen war, sang ich mit aus voller Kehle, und eine Frau, die neben mir saß, fragte mich: woher kennst du unsere Lieder? Die ursprüngliche Musik der fremdesten Völker ist mir vertraut, denn sie kommt aus meiner Heimat. Auf der Insel Lanzarote verbrachte ich eine Nacht im Eingang zu einer tief hinabstürzenden Höhle, die ganze Nacht hörte ich traurige Gesänge, und  danach erfuhr ich, dass sich in diese Höhle eine größere Gruppe von Guanchen vor den spanischen Eindringlingen zurückgezogen hatte, um ihnen nicht in die Hände zu fallen und gemeinsam zu sterben. In der Stille von Nord-Norwegen hörte ich wieder Gesänge, uralt vertraut, tröstlich und wehmütig zugleich, vielleicht waren sie das in meinem Gehirn umgedeutete Rauschen meines eigenen Blutes, wie ein Rationalist einwenden könnte, doch gingen sie weit über mich selber hinaus und brachten mich zu meinem mit allem Übrigen verbunden Kern.

 

Erwähnen will ich hier auch noch, wie ich zur Homöopathie kam. Nachdem mir klar geworden war, dass die so genannte Schulmedizin die Menschen noch kränker macht als sie es ohnehin bereits sind, suchte ich nach Alternativen. Am überzeugendsten erschien mir die traditionelle chinesische Medizin, die Art und Weise jedoch, wie sie im Westen angewandt wurde, kam mir zu oberflächlich vor, das dahinter stehende filosofische Gebäude war nur grob und verzerrt zu erahnen, ich hätte Chinesisch lernen müssen, um es zu verstehen, denn die Übersetzungen waren sehr schlampig. Da sprach mich ein Freund an, ich sollte doch einmal mit nach Baden bei Wien gehen, um die Homöopathie kennenzulernen, und ich fuhr hin in der Überzeugung, sie abhaken zu können, denn dass eine Arznei, in welcher keine Wirkstoffe mehr nachweisbar sind, helfen könnte, hielt ich für unmöglich. Zu dem einwöchigen Kurs gehörte eine Arzneimittelprüfung, jeder Teilnehmer bekam ein Fläschchen mit Flüssigkeit, aus dem er morgens fünf Tropfen auf der Zunge zergehen lassen sollte, und dazu ein Protokollheft, in dem die beobachteten Veränderungen aufzuzeichnen waren. Die ersten drei Tage wurde ich immer euforischer, es war eine Zufuhr von Energie, wie ich ihn zuvor noch nicht kannte, und das hielt an bis zur Hälfte des vierten Tages. Nach einem kurzen Mittagsschlaf stand ich auf, um den Kurs zu besuchen, da erfasste mich ein dermaßen heftiger Drehschwindel, dass ich zu Boden geschleudert wurde und eine ganze Weile nicht mehr hochkam. Wenn ich mir die Euforie noch hätte einbilden können, so war dies bei dem Drehschwindel völlig ausgeschlossen, zumal ich mit so etwas nicht im Entferntesten gerechnet hatte. Ich gab das Fläschchen und das Protokollheft mit der Bemerkung zurück, dass ich von diesem Teufelszeug nichts mehr einnehmen würde; und am Ende des Kurses wurde bekannt gegeben, dass es sich um Nux vomica in der D 200 gehandelt hatte. Solche Hochpotenzen dürfen therapeutisch nur in längeren Abständen eingenommen werden, und wenn jemand eine besondere Affinität zu dem Stoff hat, können sich Überdrehungen in der Regulation ergeben, wie es bei mir der Fall war. Später führte ich mir eine Dosis Sulfur in der D 200 zu, und der Erfolg war verblüffend, ich entleerte Unmengen von stinkender Scheisse, aus allen Hautporen kam der Dreck heraus, und eine unsägliche Übelkeit überkam mich; mir war als hätte ich alle Süßigkeiten, die ich seit meiner Kindheit verspeist hatte, auf einmal zu mir genommen, und konnte jahrelang nichts Süßes mehr essen. Aus diesen Erlebnissen war mein Vertrauen zur Wirksamkeit der Homöopathie unerschütterlich geworden, und ich traute mir zu, jeden Leugner auf die folgende Weise zu überzeugen: nach einer gründlich erhobenen Anamnese würde ich das zu ihm passende Mittel auswählen und es ihm in der C 200 zur täglichen Einnahme verordnen; spätestens nach einer Woche würde er reagieren, und zwar so heftig, dass ihm seine Leugnung lächerlich vorkommen würde.

 

Während der ersten fünf Semester meines Medinzinstudiums in Freiburg im Breisgau suchte ich wegen meiner Akne conglobata die Universitäts-Hautklinik auf, wo mir freundlicherweise junge Frauen mit einem Spezialginstrument meine zahlreichen so genannten Mittesser in regelmäßigen zeitlichen Abständen ausdrückten. Dazu bekam ich Tetracycline verordnet, wovon ich jedoch nur eine einzige Packung verzehrte, da mir schon damals bewusst wurde, welcher Unsinn das war. Die so genannten Mitesser sind geronnene Talgfäden, welche die Ausführungsgänge der Talgdrüsen, in die auch die der Duftdrüsen münden, verstopfen und nach aussen hin schwarz sind, vermutlich als Folge einer Oxidation. Die Ausführungsgänge der genannten Drüsen sind aber nur für deren Sekrete verstopft, für die Bakterein bilden sie keine Barriere, im Gegenteil: die leben darin wie die Maden im Speck und vermehren sich tüchtig. Wenn sie alles aufgefressen haben, was nicht immer vorkommt, denn in den  abgeapselten Bollen scheint ihr Stoffwechsel zum Erliegen zu kommen, dann verflüssigt sich der Inhalt der Blasen, die entweder spontan aufplatzen, was nicht besonders weh tut, oder durch den freundlich gemeinten Schlag eines Schulkamneraden auf den Rücken, bei dem man am liebsten laut aufschreien möchte, es aber sein lässt, um sich nicht zu verraten. Die Antibiotika haben also keinerlei Sinn, weil nach ihrer Absetzung, falls der Wirkstoff überhaupt an sein Ziel gelangt ist, die unermüdlichen und ubiquitären Bakterien sofort wieder da sind, wo sie waren – und zudem wurden noch jede Menge nützlicher Bakterien vernichtet. Seither habe ich nie mehr ein Antibitiokum eingenommen und werde dies auch in Zukunft nicht tun, sellbst wenn mich eine Lungenentzündunbg dahinraffen sollte, denn ich hänge nicht mehr an diesem Leben.

 

Letzter Eintrag vom September 2017

 

Von der Versöhnung mit meiner Tochter im Dezember 2011 nach dem Krebstod ihrer Mutter mit 57 habe ich im Nachwort zu meiner „Apokalypsis“ berichtet. Obwohl unser Verhältnis nie mehr so unbeschwert und unbefangen wurde wie früher, hat sie mir doch bei nanchen Gelegenheiten geholfen, insbesondere beim Verkauf meines 1742 erbauten Ansbachr Hauses. Als ich es im Jahr 2005 nicht verkaufen konnte, fand sich nur ein Ehepaar bereit es mit Ausnahme des Ladens zu  mieten. Sieben Jahre zahlten diese Leute brav ihre Miete, dann machten sie Geldnot dafür verantwortlich, dass sie zuerst unregelmäßig und dann überhaupt nicht mehr bezahlten. Auf meine Ermahnungen reagierten sie mit Ausflüchten, und dann eskalierte der Streit zwischen ihnen und der Frau, die im Erdgeschoss die Lederwerkstatt betrieb. Das Ehepaar verursachte einen Wasserschaden, der das Leder im Laden in Mitleidenschaft zog, woraufhin ich auch von dort keine Miete mehr bekam. Zu meinem Glück zogen diese vermutlich gegen mich aufgehetzten Mieter aus, ohne dass ich sie verklagen musste, hinterließen jedoch ein scheussliches Bild der Verwüstung, ja sie drangen sogar nach ihrem Auszug noch einmal ein, um einen zweiten und erheblich schlimmeren Wasserschaden zu produzieren, sodass ich das Schloss auswechseln musste. Danach verließ  auch die Lederfrau dieses Haus, und ich ging zur Immobilienabteilung der Spatkasse Ansbach, um es zu verkaufen; das war im Jahr 2013, und dort hatte ich es 1992 auch erworben.

Obwohl sich drei Makler meiner Sache annnahmen, vergingen die vertraglich vereinbarten sechs Monate ohne dass sich etwas tat.

Sie wollten das Haus unbedingt dem Nachbarn, bei dem es gebrannt hatte, zukommen lassen,der aber hatte mich schon bevor ich sie einschaltete, zwei Monate hingehalten, um mir dann mitzuteilen, dass er das Geld nicht nicht aufbringen konnte, ich hätte es ihm für 50.00 Euro gegeben. Eines Tages sagte mir meine Tochter am Telefon, dass mein Haus nicht im Internet angeboten wurde, und als ich die Sparkassenleute zur Rede stellte, sagten sie mir, sie hätten den Nachbarn nicht verunsichern wollen, was ich absurd fand; sie versuchten, mich dazu zu überreden, ihm das Haus füt 40.000 zu überlassen. Zu jener Zeit wohnte ich in Köttweinsdorf, und weil der Beitzer des dortigen Hauses dasselbe verkaufen wollte, musste ich ausziehen. Ich gab meiner Tochter die notarielle Vollmacht, während ich mich auf die Reise über Land nach Georgien machte; und es gelang ihr schließlich im Februar 2014 mit einem anderen Makler, das Haus für 70.00 loszuwerden, wovon ich ihr die Hälfte aus Erleichterung schenkte. Das Verhalten der Immobilienmakler konnte und kann ich mir nicht anders erklären als damit, dass ihr Boss ein Freimaurer war -- den ehemaligen Direktor der örtlichen Raiffeisenbank hatte vor Jahren seine Frau in meine homöopathische Sprechstunde geschickt, und weil ich damals noch ein unbeschriebenes Blatt war, erzählte er mir freimütig von seinen Freimaurer-Aktivitäten.

 

Von den vielen Zurückweisungen, die ich durch Menschen erfuhr, stechen drei hervor, die ich hier noch loswerden möchte. Die erste kam von dem ehemaligen Freund, mit dem ich den Briefwechsel hatte, der in dem „Nächtebuch“ abgedruckt ist. Nachdem er dreimal zu mir gesagt hatte „Jetzt müsste ich dich eigentlich hinauswerfen“, zweimal am Abend und einmal am anderen Morgen, erklärte ich ihm, freiwillig zu gehen. Etwa zehn Jahre später rief ich ihn an, um ihn zu fragen, ob wir uns wiedersehen könnten, bevor ich zu einer Reise aufbreche, von der ich womöglich nicht mehr zurückkehre. Als ich ihm sagte, dass ich in einem Dorf im Landkreis Bayreuth wohne, antwortetet er scharf: „Bayreuth existiert für mich nicht!“ – womit er wohl sagen wollte, dass ich nicht mehr für ihn existiere – denn obschon er sich noch meine Adresse aufschrieb, hat er nichts mehr von sich hören lassen.

Die zweite stammte von einem Buchhändler  aus Eichstättt, mit dem ich während meiner dortigen Zeit befreundet war. Wir hatten uns aus den Augen verloren und waren uns nach langer Zeit zufällig wieder begegnet; weil ich mit einem Ansbacher Freund unterwegs zu dessen Vater war, der einen Schlaganfall erlitten hatte, und die Besuchszeit bald zu Ende war, konnte ich mich mit dem Buchhändler nur kurz unterhalten. Dabei erzählte er mir, dass er mit meinem Bruder korrespondiert habe, und wiederholte mehrmals das Wort „Bestürzend!“ im Hinblick auf mich. Ohne klären zu können, was er damit meinte, verabschiedete ich mich mit den Worten „Ich rufe dich an“. Und als ich dies bald darauf tat und ihn fragte, ob ich ihn besuchen dürfe,hörte ich ihn sagen: „Wir spielen Ping-Pong auf verschiedenen Platten“. Diesen Satz hatte er sich offensichtlich vorher zurechtgelegt, und ich spürte seine Ablehnung und sagte: „Dann will ich dich in deinem Frieden nicht weiter stören“ – woraufhin er erwiderte: „Nun sei doch nicht gleich beleidigt, wir sind ja nicht aus der Welt“ .. obschon er mich gerade beleidigt hatte, indem er mir nicht erlaubte ihn zu besuchen und mich aus seiner Welt ausschloss.

Den Vogel abgeschossen hat meine Ex-Frau, die Sung-Ae. Ich war auf der Insel Tobago, als mich im März diesen Jahres über meine Tochter eine e-mail von ihr erreichte, worin sie schrieb:“der Axel soll mir helfen, „die beuteten Bücher verkaufen“. Es bedurfte einiger Briefwechsel, bis ich verstand was sie damit meinte. Ihr zweiter Ehemann, mein ehemaligeer Patient war im Januar nach langer Krankheit im Alter von 62 Jahren verstorben, sein Morbus Crohn war derart schlimm rezidiviert, dass sein Bauch zuletzt so „durchlöchert war wie ein Duschkopf“, aus dem Eiter und Scheisse herausquoll. Um sich für die Demütigungen zu rächen, die ihm seine zweite Ehefrau zugefügt hatte („Ich habe ihm gesagt: du bist ein Krüppel“), hatte er jede Menge Bücher online bestellt, die er nie las und aus deren Verkauf die Sung-Ae Geld machen wollte, sie wüsste nicht, was sie wert seien, wie sie mir schrieb. Ich riet ihr, den ganzen Kram zu verschenken (es war wie sich heraus stellte esoterischer Schund). Doch obwohl mir das Ganze komisch vorkam, freute ich mich auf ein Wiedersehen nach 26 Jahren und hatte die Hoffnung, alte Wunden zu heilen. Am Tag der Scheidung, am 9. 8. 1991, war mir ein Schmerz durch die linke Schulter gefahren, der sich so anfühlte, als sei mein linker Flügel zerbrochen, und diesen Schmerz war ich alle die Jahre mie ganz losgeworden, er quälte mich mal etwas weniger und mal etwas mehr.

Je näher der Termin unseres Treffens heranrückte, desto öfters sah ich vor meinem geistigen Auge das Gesicht eines Mannes aus dem Gemälde „Das Jüngste Gericht“ von Michelangelo; er hält sich ein Auge zu, das andere bleibt offen, weil er seinen Blick nicht abwenden kann vor dem Inferno, das ihn erwartet, und ergriffen ist er von namenlosem Entsetzen.

Der zweite Mann der Sung-Ae hatte nach seiner scheinbaren Heilung durch mich eine Ausbildung zum Heilpraktiker gemacht, und bei der Eröffnungsfeier seiner Praxis in Friedberg war ich zusammen mit meiner Frau eingeladen. Später waren die beiden Vermählten auf die Insel Teneriffa gezogen, um dort die deutschen Rentner zu melken. Der Ort, wo sie lebten, heisst übersetzt „das Gemetzel“, weil dort die Ureinwohner von den Spaniern abgeschlachtet worden waren. In die felsige Steilküste haben sie Stahl-Beton-Klötze gerammt, und in jedem sind 80 bis 100 Appartements hergerichtet, ausserdem stehen Neubauruinen herum, weil den Investoren das Geld ausgegangen war, mit einem Wort: es ist eine mörderische Umgebung. Vom ersten Anblick der Sung-Ae, die einst eine so schöne Frau war, wich ich unwillkürlich zurück, ihr Gesicht war zu einer Maske erstarrt und ein übler Geruch strömte aus ihrem Mund.Sie wolte, dass ich zusammen mit ihr und ihrer Hündin im Ehebett schlafe. „Zwei Frauen erwarten Dich“, so hatte sie eine e-mail überschrieben – ich zog die Couch vor. Sie kroch, als ich schon schlief, zu mir, und weil es zu eng war, schickte ich sie wieder weg.

In der Dunkelheit der nächsten Nacht sah ich bei einem Spaziergang mit ihr und ihrer Hündin einen Geist; es war ein pubertierender rotzfrecher Knabe, dem nichts heilig ist und der mich hähmisch angrinste. In ihrem Appartement angekommen, begann die Sung-Ae, mich auf übelste Art zu beschimpfen mit Ausdrücken wie „Du bist ein egozentrisches Arschloch, ein abartiges Dreckschwein, aus dessen Mund nur Scheisse herauskommt“. Ich bat sie , darauf zu achten, was sie da sagte und nach Möglichkeit damit aufzuhören, weil ich sonst abreisen müsste. In der nächsten Nacht warf sie mir wiederum mein Verhalten von vor 30, 40 Jahrn vor und betonte, dass sie ihre Prinzpien habe und ihrem Trieb nicht wie die anderen Frauen nachgäbe (seit 13 Jahren hatte sie keinen Sex mehr). Ich hatte ihr von der Maria erzählt, wie ich sie gewarnt hatte, dass sie von ihrem Thron stürzen würde, wenn sie nicht freiwillig herabstiege, und zitierte das Wort von der Erniedrigung dessen, der sich selber erhöht. „Bist du Jesus?“ fragte sie höhnisch, und wie um das zu widerlegen, wurde ich grob und sagte, sie sei ja noch tugendhafter als die Jungfrau Maria, die nur einmal vergewaltigt  wurde, wobei sie den Jesus empfing, bei ihr aber müssten es zehn Männer sein. „Dann fang doch damit an“, forderte sie mich auf, und als ich sagte, Gewalt sei nicht mein Ding, ging sie auf mich los. Meine Bitte um Abstand ignorierte sie, und ich gab ihr einen leichten Stoß gegen das Brustbein, der genügte, dass sie zurück taumelte, sie wog ja nur noch 40 Kilo und ihre Brüste waren gänzlich verschwunden. Da aber geriet sie, die mir vorher die Selbstbeherrschung gepredigt hatte, ausser sich und bekan einen Tobsuchtsanfall. Sie stürzte sich schreiend, schlagend, kratzend und beissend auf mich, sodass ich sie auf den Teppich werfen und festhalten musste. Ihre Bitte, sie loszulassen, erfüllte ich, doch sofort begann sie wieder auf mich einzudreschen, und ich musste dieselbe Prozedur wiederholen, sie jetzt aber so lange festhalten, bis sie sich ausgetobt hatte.

Sie drohte, mich mit einem Küchenmesser zu kastrieren und schrie: „Man müsste allen Männern ihre dreckigen Schwänze abschneiden“. Dass sie die Finger meiner rechten Hand umgebogen hatte, merkte ich erst später, und die Schmerzen spürte ich wochenlang, als Masseurin hatte sie Kraft in ihren Händen

Als sie erschöpft war, erzählte ich ihr die Geschichte der Turandot, so wie ich sie 1989 in einer  Vision erlebte und als Konsequenz aus der gemeinsamen Wohnung auszog. Jene Königstochter war von ihrem Vater verwöhnt und verdorben, und kein Mann war in ihren Augen etwas wert. Da sie von aussergewöhnlicher Schönheit war, bewarben sich viele Freier um ihre Hand. Sie stellte jedem von ihnen drei unlösbare Fragen, und wenn er sie nicht beantworten konnte, wurde ihm der Kopf abgeschlagen und auf die Zinnen ihres Palastes gepflanzt. Die mit Totenschädeln gespickten Mauern taten ihre abschreckende Wirkung, es ließen sich immer weniger  des Lebens Müde erblicken. Doch eines Tages kam einer, der sie durchschaute und ihren Trick mit den unlösbaren Fragen  entlarvte – und diesen wollte sie haben. Sie hatte jedoch eine Sklavin, in die sich der Fremde verliebte, und als die Turandot das bemerkte, erwürgte sie die Rivalin vor seinen Augen. Diese Sklavin war ihre eigene Seele, und deswegen war sie am Ende allein.

Die Sung-Ae erholte sich und fing wieder an, mich zu beschimpfen und zu verfluchen, ihre letzten an mich gerichteten Worte waren: „Ich hasse dich und will dich nie wieder sehen“.So ging ich am anderen Morgen davon, und das war am 19. 6. Trotz meiner bösen Vorahnungen hatte ich von Liebe und Versöhnung geträumt und war dieser Frau so geöffnet begegnet, dass mich ihr Fluch mit voller Wucht traf. Aus meiner Haut schossen kleine Pickel und warzenähnliche verkrustende Gebildr heraus, die fürchterlich juckten und wie Feuer brannten,  besonders schlimm an meinen Geschlechtsteilen und um meinen Anus herum. Große Partien er Haut wurden rauh wie Reibeisen, und manchmal stand mein ganzer Körper in Flammen. Immer dann wenn ich glaubte, diesen Fluch überwunden zu haben, kamen die lästigen Eruptionen mit erneuerter Stärke zurück, und oft fühltr es sich so an, als bissen sich mit Zangen bewaffnete Tierchen in meiner Haut fest, es waren aber keine Parasiten zu finden. Schweissausbrüche wechselten sich mit Frostschaudern ab, und das alles hält bis heute an und cersucht, mich in den Wahnsinn zu treiben. Ich fühle mich todkrank.

Schon seit vielen Jahren habe ich in den  Ländern, die ich bereiste, nach einem Ort Ausschau gehalten, an dem ich sterben könnte in Ruhe und Frieden, ohne ihn jemals zu finden. Ich dachte, es müsste doch noch irgndwo Menschen geben, für die der Tod zum Leben gehört, wo Sterbende keine unzumutbare Zumutung sind und man sie nicht zu Professionellen abschiebt, aber da habe ich mich offensichtlich wie in manch anderen Dingen geirrt. Nachdem ich die Sung-Ae verlassen hatte, suchte ich auf mehreren Azoren-Inseln vergeblich nach dem Ort meiner Sehnsucht. Vor fast 40 Jahren war ich dort schon einmal gewesen, und jetzt konnte ich es kaum noch wieder erkennen, alles ist auf Hochglanz poliert. Mit meiner schwindenden Sehkraft (es ist eine Makula-Degeneration) bin ich reisefähig nicht länger, und weil ich keine Wohnung habe, weiss ich nicht mehr vohin. Da ich michaber  ohnehin schon in der Hölle befinde, ist die Selbstverbrennung womöglich die beste Methode, mich aus dem Wege zu räumen.

 

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